Naechte am Rande der inneren Stadt
Holzboden und betrachte die Unregelmäßigkeiten im Lack.
Ich besuche Leonhardt. Meinen Sportcenterphilosophen, wie Konrad ihn immer genannt hat. Seine Wohnung ist sehr einfach, nackte
Wände, ein hoher Kachelofen, trotzdem hat sie |282| etwas wie die von einem Dandy. Vor seinem Fenster fährt die Straßenbahn.
Wir teilen die Trübsal des Herzens, sagt er und will mich küssen.
Nicht jetzt, sage ich und lächle über das Missverständnis. Er meint eine Verfassung im Leben, ich habe nur ein akutes Problem.
Ich sage aber nichts. Und dann sitzen wir ineinander auf dem Boden und verdrehen unsere Augen.
In meinen Träumen zerreißen Theoreme Personen. Ich will mich hemmungslos nach außen kippen. Mit Leonhardt ist es wie mit der
Straßenbahn vor seinem Fenster: intensiv, wenn sie gerade vorbeikommt, dann eine Weile nichts, dann kommt sie wieder. Vergessen?
Erinnern? Er hat ein schönes Bild von Venus, der Schaumgeborenen, über seinem Schreibtisch hängen.
Muss einer den anderen töten, um das Bild von sich selbst aufrechtzuerhalten? Ich kann den anderen nicht töten, ich töte mich.
Ich töte ihn in mir.
Treu ist tot!,
komm Leonhardt, komm Theo, kommt alle, dies ist ein großes Spiel, und ich weiß nicht, wo die Grenzen sind, wann es Bedeutung
hat für dich und schmerzhafte Folgen, wenn du singst, uraltes, übermütiges Lied: Heute Abend bist du es, heute Abend bleibe
bei mir, mit deinem glatten Gesicht und dem zerknautschten, deinen blauen Strümpfen oder den grünen, ich zieh sie dir aus
–
treu ist tot
, sie schläft nun mit allen – und manchmal gebe ich meinem Verlangen nach und schlafe mit Robert. Manchmal ist es schön, in
diesem Irrsinn, in diesem aufgerissenen Zustand mich hinzugeben, und manchmal steigt ein Ekel in mir auf, der mich austrocknet.
Dann bettelt er. Wird sanft. Manchmal macht er sich steif und sagt, es wäre wegen meiner Eifersucht.
Es ist unsere letzte Runde, er glaubt es nicht. Ich habe zu oft eingelenkt. Ich will nur wissen, wie es sich anfühlt.
|283| Jetzt weiß ich: Ich will mich nicht hart machen. Das ist es nicht, was ich suche.
Ich verbringe einen Abend mit Nora; wir gehen in ein spanisches Lokal, das Robert nicht kennt und wo er uns garantiert nicht
findet, und trinken Rotwein. Als wir aus dem Lokal kommen, stinken wir nach Knoblauch und Rauch, und draußen ist eine schöne
weiße Welt entstanden. Wir stapfen durch den ersten Schnee nach Hause. Wir singen, kichern, ich mache
pscht,
als wir in die Nähe meiner Straße kommen.
Du musst zu dir gehen, sagt Nora, fang bloß nicht an, davor Angst zu haben. Komm, ich bring dich!
Der Schnee fällt ganz langsam, und es kommt mir vor wie eine Unendlichkeit, wenn ich an den letzten Winter denke, oder den
vorletzten. Ich fange mit der Zunge Flocken auf. Ich kann nicht glauben, dass dieses Ich, an das ich denke, in diesem selben
Körper stecken soll, der ich bin.
Keep mind and body together = remain alive,
das steht auf dem Programm der
Performance -
Filme von Künstlerinnen, die wir nächste Woche mit Professorin Ebiel ansehen werden.
Das Licht aus den Kneipen fällt gelb auf den frischen Schnee, drinnen reden alle lebhaft und rauchen, es ist, als gehörte
ich endlich wieder dazu. Nora und ich greifen in den Schnee, werfen ihn und lachen, und mich überfällt seit langem zum ersten
Mal – unsinnige Lebenslust, elementare Unbeschwertheit. Luft und Feuer bin ich, dehne mich in die kalte Luft hinein, fasse
nach Noras Hand – wir tanzen wie zwei kleine Mädchen durch die Straßen. Dass es dich gibt!
Ich habe ein Geschenk für dich, sagt sie und zündet sich ihre Zigarette an. Wir stehen im Flur, an dessen Wand noch immer
das Wort ALLEIN prangt. Sie zieht ein Päckchen aus der Tasche.
Warum? frage ich.
|284| Ach nur so, ich hab’s gesehen und dachte, es gefällt dir.
Ich packe es aus, es ist ein Büstenhalter.
Danke, sage ich überrascht, wie nett. Er ist blau mit dunkleren Blumen darauf und kleinen Spitzen.
Los, sagt sie und bläst den Rauch aus. Anziehen!
Ich ziehe meinen Pulli aus, mein Hemd, mein T-Shirt . Ich stelle mich vor dem Spiegel auf, sie hinter mir. Ich ziehe den BH an und verrenke die Arme nach hinten, um ihn zu schließen.
Sie steht hinter mir, wir kichern, sie macht ihn zu, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt. Sie guckt mir über die Schulter
in den Spiegel. Im Spiegel sehen wir uns an.
Wir sehen schön aus, sagt sie. Mein dunkles Haar und dein
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