Naechte am Rande der inneren Stadt
dunkles Haar. Sie legt den Kopf an meinen.
Warte, sagt sie und drückt ihre Zigarette auf dem Boden aus, du musst die Möpse richtig reinstecken.
Sie greift nach vorn, die Hände über Kreuz, und nimmt meine Brüste, umschließt sie, berührt sie. Sie bewegt die kühlen Hände
langsam um meine heiße Haut; meine Haut mag es, kommt ihr entgegen, ein Schauer zieht Kreise über meinen ganzen Körper. Sie
sieht mich im Spiegel fragend an. Ich lehne mich an sie, lächle, flüstere
schön
. Ich spüre sie an meinem Rücken. Wir sehen uns im Spiegel an, dann drehe ich mich um und wir küssen uns. Wir küssen uns sehr
langsam und lange, Noras Hände haben nur ganz kurz meine Brüste verlassen, ich taste nach ihr.
Wir gehen zu meinem Bett.
Wir liegen aufeinander und mir wird schwindelig vor dieser Nähe und dem Gefühl der Ähnlichkeit, von Noras Geruch und ihrer
zarten Haut. Diese Haut ist zarter als jede, die ich jemals kennengelernt habe. Als würden sich unsere Körper ineinanderdoppeln,
seltsamer, unvertrauter Rausch. Ich rieche Himbeeren und Schweiß, Nikotin und Puder. Ich werde eine riesige Empfindungsfläche,
die einer anderen, ebensolchen begegnet, sie abtastet, in Schwingung versetzt und die ihr antwortet – hin und her – schwingen
– wir – eine schöne große |285| unendliche Welle. Wir küssen uns heftiger, meine Lippen und meine Zunge spielen mit ihren Lippen, wir verkeilen uns ineinander.
Atmen schneller. Nora, flüstere ich.
Robert hat im Hof gelauert.
Robert kam dazu. Plötzlich stand er neben uns am Bett. Er hat ja noch immer meinen Schlüssel und ich hatte meinen nicht von
innen ins Schloss gesteckt. Verdammt!
Wir hörten ihn, wir konnten nicht aufhören mit uns, wir kümmerten uns einfach nicht um ihn, Robert legte sich dazu, er streichelte
Nora und küsste sie und mich im Wechsel und kam in mich hinein, seine Hand zwischen Noras Beinen, und ich küsste Nora –
ich habe Nora verraten, sie aber hat nur gelächelt und mich weiter geküsst.
Mach dir keinen Kopf, hat sie am nächsten Tag gesagt, alles ist in Ordnung.
Ich entschuldige mich, es tut mir unendlich leid.
Ich fange an, Robert zu hassen, sage ich.
Dafür war es in jedem Fall gut, sagt sie und drückt mich.
Es kann einfach sein mit einem Menschen. Der Gedanke nimmt Besitz von mir, er flutet durch mich hindurch. Ich bin ein schönes
Feuer und ich muss keinen besiegen.
Ich besuche mit Heumann eine Filmvorführung von einer Performance von Marina Abramović und Ulay, einem Künstlerpaar. Von 1977
ist diese Aktion, »
Light/Dark«
heißt sie. Ein Mann und eine Frau. Sie ohrfeigen sich. Klatsch, klatsch. Eine Stunde lang, oder länger. Die Leute sehen zu.
Es ist eine
Life-Performance
. Sie ohrfeigen sich, bis sie nicht mehr können.
Ich weine die ganze Zeit, während ich es sehe. Heumann reicht mir sein Stofftaschentuch.
Ich geh, sage ich, ich hau ab.
|286| Robert hat die schwächsten Seiten aus mir hervorgeholt, und er ließ mich allein. Er will mich zerstören und beherrschen. Ob
er es weiß oder nicht, ist mir egal. Seine Gründe sind mir egal. Es wird mit ihm niemals ein Leben in
Vertrauen
geben, es wird überhaupt kein Leben geben, nur eines am Rande des Todes, weil er den Tod liebt und ich nicht.
Ich sehe es, wie ein Kind, das die Schrecken der Nacht vertreibt, indem es das Licht anmacht.
Diese Liebe will ich nicht.
|287| V.
Zerschneiden, sagt sie
|289| Saturn, heißt es, drosselt das Tempo, der Stern der Melancholiker. Kann man mit der Erinnerung die Zeit vertreiben? Die gelebte
Zeit oder die zukünftige? Die gegenwärtige, in der man vielleicht traurig ist? Warum macht es mich glücklich, wenn ich eine
verloren geglaubte Erinnerung überraschend wiederfinde? Auch wenn es eine unglückliche ist? In der letzten Zeit entfallen
mir Dinge, die ich zwei Stunden zuvor noch wusste; ich vergesse, welchen Film ich gestern Abend im Fernsehen gesehen und mit
wem ich zuletzt vor Gericht gesprochen habe. Dafür erinnere ich mich an den jungen Mann, der ich einmal war.
Ich weiß, weshalb ich kein
richtiger Mann
bin. Ich bin zu höflich. Ich kann mein Gefühl so schlecht vom Sex trennen. Das können richtige Männer, das höre ich immer
wieder, und wenn es so ist, will ich gar keiner sein. Die ganze Frage ist doch unsinnig. Vielleicht fehlen mir bestimmte Hormone.
Vielleicht sind meine Gehirnhälften zu gut vernetzt. Was soll’s? In jeder Niederlage liegt eine Chance. Wer hat das
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