Naechte am Rande der inneren Stadt
der Lage dazu. Ich bin sein Tod, und er ist meiner.
Ich spüre eine Tür schlagen, das Haus vibriert. Ich wünsche sofort, dass er es ist, dass er kommt und niemals diesen Brief
geschickt hat, dass er sagt, es ist alles, wie es war, dass er der ist, der er früher war. Dass er sagt, es ist ein Alptraum,
jemand hat sich einen Scherz erlaubt, dieser Brief ist gar nicht von ihm. Ich wünsche und wünsche und muss mich zwingen zu
denken: Er hat diesen Brief geschrieben. Es ist die Wahrheit, auch wenn ich sie nicht will.
Ich würde gern zu ihm gehen und sagen, komm, doch ich würde es nicht ertragen, dass jede neue Nähe mit einem neuen Hieb beantwortet
wird.
Die Menschen öffnen sich erst in ihrem Begehren. Alle Konflikte treten erst dann zutage. Sie brechen vorher gar nicht auf.
Aber können wir sie lösen? Keiner ist mir so fremd wie er. Wir verstehen uns gar nicht. Missverständnis. Verwechslung. Robert
interessiert sich für Kiesel, von Mönchen geharkte Gärten, die schöne Fremdheit der Dinge –
|277| Wer war das Mädchen? frage ich.
Er leugnet nicht.
Mathilda, sagt er, sie kam zum Frühstück.
Vor acht?
Sie musste zur Uni. Denk dir nichts. Sie wollte auch noch etwas abholen, eine Schallplatte.
Ich schweige.
Ist es zu Ende mit ihr? frage ich.
Ich hoffe doch, sagt er.
Ich hoffe doch! Das Böse ist grün, es schreit in meinem Kopf
ich hoffe
. Ich könnte mich selber fressen für meine unnütze Eifersucht!
Es war nicht Mathilda. Ich habe doch ein Foto von ihr gesehen. Also frage ich noch einmal: Wer war das Mädchen?
Irina.
Wer ist Irina?
Eine Freundin von Mirko. Ich kenne sie aus unserer W G-Zeit .
Und was wollte sie?
Sie hat eine Schallplatte geholt, wie ich es dir gesagt habe.
Warum hast du behauptet, es wäre Mathilda?
Keine Ahnung. Es ist mir so rausgerutscht.
Es ist aus, es ist endgültig aus mit unserem fraglosen Zusammensein.
Er kann seine Zeit nicht einteilen und erzählt mir etwas von Zeitlosigkeit. Er zankt bei jeder Gelegenheit mit mir und ich
ziehe eine Flappe und nichts geht mehr. Verdammt! Er sagt, er muss allein sein, und ich sage, geht das wieder los! und lasse
ihn allein. Es ist mir egal, dieses Mal warte ich nicht, ich rufe gleich Nora an, gehe rüber, übernachte bei ihr, ich lasse
mich nicht noch einmal so kirre machen!
|278| Es war mir klar, dass er sich nicht meldet. Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz zwischen uns, dass wir uns nicht sehen.
Eine
Spielregel
.
In der zweiten Nacht rufe ich ihn an. Ich bin nicht gut im Einhalten von Regeln, die ich nicht selbst festlege. Zuerst nimmt
er nicht ab. Dann sagt er kurz seinen Namen. Ich höre Stöhnen.
Sag etwas, sage ich.
Er legt auf.
Ich bin mir sicher, dass sie bei ihm ist. Wahrscheinlich hat sie ihm gerade einen geblasen.
Ich habe mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Ich habe in unserem zweiten Paradies alles vergessen, was war. Ich werde das
nicht durchstehen. Er ist ein Narziss im Labyrinth, und ich habe keinen Faden, nicht für mich und nicht für ihn.
Irina ist schlank und ihr Haar liegt glatt und blond an; sie trägt es »männlich« kurz. Sie trägt Armeehosen und eine Bomberjacke
und ein T-Shirt . Ich kenne diesen Typ, bei Theos Feten und in anderen Ateliers hängen sie herum. Betont antibürgerlich. Betont militant.
In welchem Sinne auch immer. Sie hat kräftige Arme und ich stelle mir vor, dass sie meinen Robert fickt, als wäre sie ein
Mann.
Ich heule. Ich habe Krämpfe. Katastrophen und Koliken. Ich habe mir eine Flasche Cognac gekauft; das habe ich noch nie gemacht;
ich will niemanden sehen. Oder mit Theo schlafen, auf dem harten Boden, bis ich außen blau und innen wund bin und keinen Robert
mehr kenne. Mit Theo könnte ich das, es hätte keine tragischen Konsequenzen, es wäre absolut sicher. Irgend so was. Aber ich
packe es nicht.
|279| Er geht mit ihr ein Fahrrad kaufen. Im Winter! Er berät sie. Er geht in ihr Atelier. Er steht nach drei Tagen vor meiner Tür;
ich bin am Ende; er behauptet, es wäre nichts, ich solle ihm vertrauen, ich müsse ihm das beweisen, er brauche das, er brauche
es, dass ich ihm unbedingt vertraue. Ich bin so leer, dass ich nicke, aber ich fühle mich nicht. Er sagt, sie sei so geheimnisvoll,
es inspiriere ihn, sie habe diese Aura des Ungewissen. Zugleich gehe sie ihren Weg, es beeindrucke ihn, gebe ihm zu denken.
Oh ja. Er liebt diese wässrigen Geschöpfe, fluktuierend und labil. Ein Feld
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