Nächte des Schreckens
in dem Moment wohl gefragt, was passiert wäre, wenn Kommissar Blanchard bei seinen Ermittlungen weniger gründlich und hartnäckig gewesen wäre.
Das Publikum, die Richter und die Geschworenen waren sich jedenfalls darüber klar, daß man hier ganz knapp einem Justizirrtum entgangen war...
E INE N ACHT IN DER H ÖLLE
Die Wilhelmstraße in München zählt nicht gerade zu den Prachtstraßen dieser Stadt. Doch wer sich dorthin begibt, weiß zumindest sofort, was ihn erwartet: Es gibt ein Eros-Center, zahlreiche Sex-Shops und vor allem die »Chrystal-Bar«. Dieses Etablissement von sehr geräumigen Ausmaßen erinnert mit seinen langen Tischen und Bänken ein wenig an eine Werkskantine. Auf einer Bühne im Hintergrund führen junge Paare zu ohrenbetäubend lauter Musik sogenannte lebende Bilder auf, die nicht nur pornographisch, sondern auch künstlerisch sein sollen, wie das Plakat am Eingang verkündet. Die Animiermädchen an den Tischen sind derweil bemüht, die Gäste zu entsprechendem Getränkekonsum zu überreden.
Kurz gesagt handelt es sich um einen äußerst vulgären und geradezu deprimierend langweiligen Ort, an dem einem überdies das Geld aus der Tasche gezogen wird. Aus unerfindlichen Gründen rangiert das Lokal dennoch ganz oben auf der Liste der Attraktionen dieser Stadt, und jeden Abend zieht die »Chrystal-Bar« eine nicht unbeträchtliche Zahl von Touristen an.
An diesem Tag, es ist der 23. Oktober 1976, handelt es sich um eine Gruppe von Dänen, die mit dem Bus angekommen sind. Trotz des besonderen Rufes, der dem Lokal vorauseilt, scheint den Männern das Programm nicht sehr zu gefallen, denn bereits nach einer knappen Stunde gehen sie wieder und steigen in ihren Bus.
Alle bis auf einen: Olaf Kirksen, ein bärtiger blonder Hüne von dreiundzwanzig Jahren, der genauso aussieht, wie man sich einen Wikinger vorstellt. Olaf wollte unbedingt bleiben. Erstens gefällt ihm die Darbietung, weil er nun einmal eine Schwäche für lebende Bilder hat, und außerdem ist er in den Ferien. Er will sich amüsieren und für sein Geld auch etwas geboten bekommen.
Daß Olaf Kirksen Geld hat, ist den beiden Animiermädchen, die sich neben ihn gesetzt haben, sofort aufgefallen. Seine Brieftasche ist mit großen Scheinen gefüllt. Zu ihrem Pech ist der Däne jedoch alles andere als großzügig. Er trinkt keinen Alkohol und nimmt von den Mädchen nicht die geringste Notiz. Ihn interessiert nur die Darbietung auf der Bühne, alles andere ist ihm egal.
Als die Vorstellung um zwei Uhr morgens zu Ende ist, verläßt Olaf höchst zufrieden die »Chrystal-Bar«. Er hat einen klaren Kopf, und seine Brieftasche ist nach wie vor gut gefüllt...
Am anderen Morgen ruft der Leiter der dänischen Reisegruppe beim Frühstück die Namen der Teilnehmer auf, bevor sie zu einer Stadtrundfahrt starten. Als er Olaf Kirksens Namen nennt, kommt keine Antwort, was ihn nicht sonderlich erstaunt. Es ist schon mehrmals vorgekommen, daß der junge Mann die Nacht anderswo verbracht hat. Wenn alle so wären wie dieser, müßte man sich wirklich fragen, um was für eine Art Reise es sich handelt. Jedenfalls wird man wegen der Stadtrundfahrt nicht auf ihn warten.
»Zum Teufel mit ihm!« murmelt der Reiseleiter vor sich hin. Doch wenn er wüßte, wo sich Olaf Kirksen in diesem Moment befindet, würde er seine Worte sicherlich bereuen...
Wie spät mag es sein? Olaf Kirksen hat keinerlei Zeitgefühl mehr. Wo war er? Diese Frage kann er ebensowenig beantworten. Es ist dunkel um ihn herum, vollkommen dunkel. Ein paar Minuten vergehen, und er versucht, wieder richtig zu sich zu kommen. Er wartet darauf, daß irgend etwas geschieht, doch es geschieht nichts, nicht das geringste.
Statt dessen wird ihm allmählich bewußt, daß er sich an einem völlig unbekannten und gewissermaßen undefinierbaren Ort befindet. Ihm ist, als sei er überhaupt nicht auf der Erde...
Nach und nach kehren ein paar konfuse Erinnerungsfetzen zurück. Nachdem er die »Chrystal-Bar« verlassen hatte, tauchten zwei Männer hinter ihm auf, und einer zog einen Revolver. Olaf weiß noch genau, daß er sich heftig gewehrt hat. Seine Faust schnellte vor, dann sah er plötzlich einen grellen Blitz, und danach sah er gar nichts mehr...
Olaf hält in seinen Gedanken inne und fragt sich ängstlich: »Wo bin ich jetzt nur?«
Doch sosehr er sich auch bemüht, er sieht nichts und er hört nichts. Und was noch beunruhigender ist: Er spürt auch seinen Körper nicht mehr! Er
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