Nächte des Schreckens
weiterer Tatbestand, nämlich José Irracabals Strafregister. Er war 1930 in Spanien zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er ein dreizehnjähriges Mädchen vergewaltigt hatte.
Doch trotz aller Bemühungen des Kommissars sind die spanischen Behörden zu keinerlei Zusammenarbeit bereit. Sie weigern sich, José Irracabal auszuliefern, und wollen auch nicht Michel Garmendia wieder auf freien Fuß setzen, der wegen illegalen Grenzübertritts zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Er muß seine Strafe bis zum Jahr 1947 abbüßen.
Ein Jahr darauf, im April 1948, fand die spanische Polizei in den Bergen nahe der französischen Grenze einen Mann, der mit mehreren Messerstichen ermordet worden war. Es handelte sich um einen gewissen José Irracabal, offenbar ein Schmuggler.
Die Ermittlungen führten zu nichts. Die Polizei kam daher zu der Schlußfolgerung, daß das Opfer von einem Mitglied einer rivalisierenden Bande getötet worden war.
Was die französische Polizei betraf, so unternahm diese nichts weiter. Michel Garmendia, der sich erneut in Béhobie niedergelassen hatte, wurde nicht verhört. Wozu auch? Was auf spanischem Boden geschah, ging sie nichts an. Und außerdem handelte es sich doch lediglich um eine ganz gewöhnliche Abrechnung unter Schmugglern, nicht wahr?
G OTT IST NICHT ÜBERALL
Kommandant Murdoch öffnet die Tür der Hafenaufsichtsbehörde im schottischen Greenock, das sich an der Westküste nicht weit von Glasgow befindet. Ein Schwall warmer Luft empfängt ihn, was er als ungemein wohltuend empfindet. An diesem 16. Dezember des Jahres 1900 herrscht ein abscheuliches Wetter, und seit dem Morgen will es nicht mehr aufhören zu stürmen.
Ein Mann in Kapitänsuniform sitzt in der Nähe eines Feuerofens an seinem Schreibtisch und erhebt sich jetzt, um den Besucher zu begrüßen.
»Sie wünschen, Kommandant? Ich bin Kapitän Mac Stevens.«
Mit seiner kräftigen Statur und dem dichten Bart, der sein Gesicht umrahmt, ist Kommandant Murdoch eine beeindruckende Erscheinung. Er nimmt seine Mütze ab und legt sie auf den Tisch. »Murdoch, Kommandant des Frachters Archer. Ich komme von Baltimore, und ich habe mich sofort zu Ihnen begeben, weil die Angelegenheit sehr ernst ist. Es handelt sich um den Leuchtturm von Eilean Mor.« Kapitän Mac Stevens verkrampft sich leicht. Er ist jünger als der andere und weniger markant. Man spürt, daß er mehr Zeit an Land verbracht hat als auf dem Meer.
»Was ist geschehen?«
Hat er sich das nur eingebildet, oder kam es Kommandant Murdoch zu Recht so vor, als habe Mac Stevens irgendwie seltsam reagiert?
Nichtsdestotrotz setzt er seinen Bericht fort: »Der Leuchtturm von Eilean Mor ist erloschen, Kapitän.«
»Sind Sie sicher?«
»Vollkommen sicher. Als wir uns letzte Nacht gegen elf Uhr auf offener See in Höhe der Hebriden befanden, suchte ich nach dem Leuchtturm, der logischerweise backbords hätte auftauchen müssen, doch da war nichts, auch nicht, als ich durch das Fernglas gesehen habe.«
»Es wird sehr neblig gewesen sein.«
»Nein, es war eine klare Nacht, und das Meer war ruhig. Der Sturm ist erst morgens losgebrochen.«
Kapitän Mac Stevens fixiert seinen Besucher.
»Sind Sie sicher, welche Position Sie in dem Moment hatten?«
Kommandant Murdoch fährt hoch: »Für wen halten Sie mich? Ich bin sehr wohl in der Lage, meinen Standort zu ermitteln! Wir befanden uns fünf Meilen von Eilean Mor entfernt, höchstens sieben, aber nicht mehr. Halten Sie es für möglich, daß der Scheinwerfer ausgefallen ist?«
»Nein, das ist unmöglich. Für den Fall gibt es ein Notaggregat.«
Kopfschüttelnd meint Kommandant Murdoch: »Dann ist es noch ernster, als es schien. Die Wächter müssen krank sein oder... tot. Wie viele sind es denn?«
»Drei. Aber bei dem Sturm weiß ich nicht, wie man dorthin gelangen soll.«
Ein langes Schweigen breitet sich aus. Kommandant Murdoch findet das Verhalten des Hafenmeisters immer merkwürdiger. Dieser wirkt ganz in Gedanken versunken. »Entschuldigen Sie«, fragt er ihn, »aber woran denken Sie?«
Kapitän Mac Stevens erwacht aus seiner Träumerei.
»Ich dachte an eine Legende. Mir scheint, daß der Leuchtturm von Eilean Mor die Leute hier in der Gegend bis zum heutigen Tage beschäftigt!«
»Was für eine Legende?«
Kapitän Mac Stevens räuspert sich und erklärt dann: »Die Einweihung des Leuchtturms von Eilean Mor liegt noch kein ganzes Jahr zurück, Kommandant, genau gesagt, war das im
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