Nächte des Schreckens
kehrt Michel Garmendia gegen sechs Uhr früh von der Arbeit heim. Er hat die ganze Nacht in der Fabrik verbracht und begibt sich in die Küche des Bauernhofs, wo Irracabal gerade sein Frühstück zu sich nimmt. Die beiden Männer wechseln ein paar Worte.
»Guten Morgen! Ist Antoinette noch nicht auf?«
»Nein, sie ist noch oben. Sie hat den Kleinen bei sich.« Garmendia frühstückt eine Kleinigkeit in Gesellschaft seines Vermieters und beschließt dann, sich schlafen zu legen. Bevor er sich anschickt zu gehen, meint Irracabal zu ihm: »Ach übrigens, oben ist kein Licht! Offenbar funktioniert es nicht mehr. Vielleicht kannst du es reparieren.«
Michel Garmendia grummelt etwas über die Schulter und verschwindet auf der Treppe.
Als er vor dem Zimmer ankommt, bleibt er überrascht stehen. Die Tür ist nur angelehnt, doch für gewöhnlich schließt Antoinette, die sehr ängstlich ist, immer von innen ab.
Er tritt ein. Es ist dunkel. Tastend begibt er sich zum Bett, und plötzlich berührt seine Hand etwas Kaltes und Feuchtes.
Er eilt zum Fenster und öffnet die Läden. Im Licht des anbrechenden Morgens bietet sich ihm ein alptraumhafter Anblick: Seine Frau Antoinette liegt tot auf ihrem Bett. Ihr Nachthemd ist voller Blutflecken. Der Mörder hat seine Tat auf höchst bizarre Weise inszeniert: Er hat seinem Opfer die Hände über der Brust gekreuzt und einen Rosenkranz darüber gebreitet, wie man es für einen Toten auf dem Totenbett zu tun pflegt.
Das ist jedoch noch nicht alles. Mit starrem Blick gewahrt Michel Garmendia am unteren Ende des Bettes direkt neben der Toten eine andere ausgestreckte Gestalt. Es ist der kleine Julien, und auch er wurde grausam ermordet.
In dem Moment beginnt Garmendia laut zu schreien. Gleich darauf stürzt Irracabal herbei. Fassungslos betrachtet er die schreckliche Szene. Er wiederholt immer aufs neue: »Mein Sohn! Mein Sohn...«
Kurz darauf trifft die Polizei ein. Die Gendarmen werden von Kommissar Lionel aus Hendaye begleitet. Bei der Aufnahme des Tatbestands entdecken die Beamten, mit welcher Brutalität der Mörder vorgegangen ist. Die Frau wurde mit sechzehn Messerstichen getötet, der kleine Junge mit zwölf Messerstichen. José Irracabal befindet sich unterdessen in der Küche. Er ist vollkommen zusammengebrochen. Der Schock ist so groß, daß sich ein Arzt um ihn kümmern muß. Kommissar Lionel beschließt daher, ihn vorerst nicht zu behelligen.
Statt dessen verhört er eine Nachbarin, die in der Nähe war. Madame Arranburu, eine Witwe von sechzig Jahren, hat ihm ein paar sehr interessante Details zu erzählen. »Gestern abend hörte ich gegen Viertel nach zehn plötzlich Geräusche eines Kampfes und erstickte Schreie. Ich glaubte, daß es sich um ein paar Betrunkene handelte, die auf der Straße miteinander stritten. Ich stand auf und blickte aus dem Fenster, aber es war nichts zu sehen. Inzwischen bin ich sicher, daß die Geräusche nicht von der Straße gekommen sind, sondern aus dem Haus von Irracabal.«
Als nächstes wird Michel Garmendia befragt. Er antwortet dem Kommissar in neutralem Ton. Ganz offensichtlich hat er noch immer nicht richtig begriffen, was geschehen ist. »Um wieviel Uhr sind Sie gestern abend zur Arbeit gegangen?«
»Um sieben.«
»Sind Sie danach noch einmal hierher zurückgekehrt?« Ohne zu zögern, erwidert der Ehemann der Ermordeten: »Ja, gegen acht Uhr. Der Kollege, der zusammen mit mir nachts Wache hält, wollte eine Flasche Wein, und ich erklärte mich bereit, eine zu besorgen. Da ich aber kein Geld dabeihatte, kehrte ich ins Haus zurück, um welches zu holen.«
»Haben Sie bei dieser Gelegenheit mit Ihrer Frau gesprochen?«
»Nein, sie war in der Küche. Ich ging direkt nach oben ins Zimmer und dann kehrte ich zur Fabrik zurück.«
Der Kommissar schüttelt den Kopf.
»Sagen Sie, Ihr Kollege, der den Wein wollte, wie heißt der?«
»Ollier, Herr Kommissar, Grégoire Ollier.«
»Und Sie beide haben sich natürlich die ganze Nacht über nicht getrennt, oder?«
»Nun ja... während unserer Runden sind wir nicht zusammen. Jeder ist für einen anderen Bereich der Fabrik zuständig. Aber wir rufen uns alle halbe Stunde an, um uns gegenseitig zu vergewissern, daß alles in Ordnung ist.« Dann fügt Michel Garmendia noch weitere Details hinzu: »Ich habe vorhin in unserem Zimmer nachgesehen. Der Mörder hat uns bestohlen. Der Schmuck meiner Frau ist verschwunden und ebenso ein Tausendfrancsschein, den wir unter der Wäsche versteckt
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