Nächte des Schreckens
hatten.«
Lionel stellt eine letzte Frage: »Wie lange braucht man von der Fabrik bis hierher, Monsieur Garmendia?«
»Mit dem Fahrrad ist es eine Viertelstunde.«
Der Kommissar erwidert nichts darauf. Er behält seine Schlußfolgerung für sich: Demnach hatte Garmendia Zeit, zwischen zwei Kontrollanrufen seines Nachtwächterkollegen mit dem Rad zum Haus zurückzufahren und sich anschließend wieder zur Fabrik zu begeben.
Kommissar Lionel ist für seine brutale Vorgehensweise bekannt, und es heißt auch, er mache gemeinsame Sache mit den Deutschen. Dennoch wagt er es nicht, einen Mann zu attackieren, der soeben unter derart tragischen Umständen seine Frau verloren hat, zumal es hier noch einen zweiten Beteiligten gibt, nämlich José Irracabal.
Während die Polizisten die Opfer zur Autopsie fortschaffen, begibt sich Lionel in die Küche. Irracabal ist noch immer vollkommen aufgelöst, doch der Kommissar ist jetzt entschlossen, ihn zu verhören.
»Um wieviel Uhr sind Sie gestern abend schlafen gegangen?« fragt er ihn.
Doch erst als er die Frage wiederholt, hebt José den Kopf, den er zwischen den Händen gehalten hat.
»Nun«, erwidert er schließlich, »wie jeden Abend: um zehn Uhr.«
»Und Sie haben nichts gehört?«
»Nein.«
Der Kommissar läßt jedoch nicht locker.
»Wie kommt es dann, daß Ihre Nachbarin, Madame Arranburu, die dreißig Meter von hier entfernt wohnt, Schreie und Kampfgeräusche gehört hat?«
José Irracabal zuckt mit den Schultern.
»Wahrscheinlich hat sie zu der Zeit gerade nicht geschlafen...«
In dem Moment kommt einer der Gendarmen herein. Er hatte Irracabals Zimmer durchsucht.
»Sehen Sie mal, was ich soeben gefunden habe, Kommissar!«
Es handelt sich um ein Paar lange Hosen.
Kommissar Lionel sieht dem Besitzer des Bauernhofes direkt in die Augen und fragt: »Gehören die Ihnen?«
»Ja.«
»Sind das die Hosen, die Sie gestern abend getragen haben? Und versuchen Sie nicht, sich rauszureden! Wir werden sonst Zeugen finden.«
»Ja, das sind die Hosen.«
»Und dieser Fleck dort, ist das Blut?«
José Irracabal stammelt: »Ich habe mich wohl geschnitten... Ja, genau, ich habe mich geschnitten.«
Doch der Gendarm reicht dem Kommissar noch einen anderen Gegenstand. Es ist ein Portemonnaie.
Lionel untersucht den Inhalt. Es sind Papiere darin, die den Besitzer als José Irracabal ausweisen, doch das ist noch nicht alles. Der Kommissar zieht einen Geldschein heraus und hält ihn seinem Gegenüber vor die Nase.
»Und das, Irracabal? Können Sie mir sagen, was das ist?« José Irracabal antwortet nicht. Er ist vollkommen bleich geworden. Er blickt von rechts nach links, als suche er nach einem rettenden Einfall, und dann blickt er wieder den Kommissar an, der einen mit Blut verschmierten Geldschein in der Hand hält.
José Irracabal wird auf der Stelle verhaftet und am nächsten Tag des Doppelmordes angeklagt. Der Fall ist klar, so monströs er auch sein mag. Nachdem Irracabal seit neun Jahren Witwer ist, hat er die junge Frau mißbrauchen wollen, die sich an dem Abend ganz allein unter seinem Dach befand. Sie hat geschrien, und das Kind, das bei ihr geschlafen hat, ist wach geworden. Daraufhin hat er sie beide umgebracht. Das Schrecklichste daran ist jedoch, daß es sich bei dem Kind um den kleinen Julien handelte, seinen eigenen Sohn!
Am 6. November 1942 wird José Irracabal vor dem Schwurgericht in Pau der Prozeß gemacht. Erstaunlicherweise findet der Prozeß unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Dies wird allgemein auf die besonders abscheulichen Begleitumstände der Tat zurückgeführt. Doch die wenigen Bewohner von Béhobie, die aus Neugier vor dem Justizpalast gewartet haben, sehen noch am selben Abend Irracabal als freien Mann herauskommen. Ohne jeden weiteren Kommentar ruft er ihnen lediglich zu: »Aus Mangel an Beweisen...«
Am nächsten Tag gibt es in Béhobie kein anderes Gesprächsthema. Wie konnte es zu diesem Urteil kommen, wo doch gegen Irracabal derart viele Beweise vorliegen? Wie war das nur möglich? Stimmt es, was man tuschelt? Hat er tatsächlich Verbindungen zur Gestapo? Arbeitet er für die Deutschen, und ist er deshalb so leicht davongekommen?
Irracabal bleibt ihnen die Antwort schuldig, denn er packt noch am selben Tag seine Sachen und fährt nach Spanien. Von da an wird er in Béhobie nicht mehr gesehen.
Auf die Leute von Béhobie wartet jedoch noch eine weitere Überraschung. Zwei Wochen später erscheint Kommissar Lionel zusammen
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