Nächte des Schreckens
mit seinen Beamten erneut im Ort, und diesmal geht es nicht um Ermittlungen. Sie begeben sich direkt zu Michel Garmendia, legen ihm Handschellen an und nehmen ihn mit. Sobald Garmendia im Büro des Kommissars sitzt, prasseln die Fragen wie ein Trommelfeuer auf ihn nieder.
»Ich weiß, daß Sie der Täter sind, Garmendia! Als Sie am Abend zurückkehrten, weil Sie angeblich Geld holen wollten, sind Sie nach oben in Ihr Zimmer gegangen und haben die Glühbirne gegen eine defekte Birne ausgetauscht. Das alles haben Sie nur getan, damit man Sie nicht sah, als Sie um Viertel nach zehn wiederkamen und das Verbrechen begingen!«
Der junge Mann hat das Gefühl, einen Alptraum zu erleben. »Aber das ist nicht wahr! Und das kann auch nicht sein, weil ich um die Zeit bei der Arbeit war.«
»Eben nicht. Ihr Kollege, Grégoire Ollier, hat seine Aussage korrigiert. Als erstes hat er mir gestanden, daß Sie, als Sie an dem Abend kamen, zu ihm gesagt haben: >Ich habe mich gerade mit meiner Frau gestritten. Das wird noch übel ausgehen<.
Michel Garmendia springt hoch.
»Das stimmt nicht! Das ist eine Lüge!«
»Ihr Kollege hat mir ebenfalls erzählt, daß Sie ihn an dem Abend nicht, wie üblich, um dreiundzwanzig Uhr angerufen haben, sondern ungefähr gegen dreiundzwanzig Uhr zehn.«
»Er lügt! Er lügt!«
Die Stimme von Kommissar Lionel nimmt einen sanfteren Ton an: »Ich lasse Ihnen die Wahl, Garmendia... Sie müssen wissen, daß ich über Ihre Person ein paar Ermittlungen angestellt habe, und dabei habe ich herausgefunden, daß Sie englischen Piloten geholfen haben, die spanische Grenze zu passieren... Nein, leugnen Sie nicht, ich habe Beweise. Also, entweder gestehen Sie und bleiben dafür in Händen der französischen Polizei, oder ich liefere Sie den Deutschen aus!«
Michel Garmendia begreift seine Lage sofort. Es stimmt, daß er den Engländern geholfen hat, über die Grenze zu gelangen. Der Kommissar hat bestimmt Beweise dafür. Aber zuzugeben, er habe seine Frau getötet und ein siebenjähriges Kind, nein, niemals! Lieber sterben, lieber von den Deutschen gefoltert werden. Er weigert sich mit ganzer Kraft.
Eine Viertelstunde später wird er in Begleitung von zwei Beamten zum Sitz der Gestapo in Pau gebracht. Er weiß, daß er verloren ist, doch er rebelliert nicht gegen sein Schicksal. Nach dem Tod seiner Frau ist ihm nichts mehr wichtig.
Dennoch lächelt ihm unverhofft das Glück. Als er im Polizeiauto sitzt, nimmt ihm einer der beiden Beamten die Handschellen ab. »Verschwinde so schnell du kannst!« sagt dieser. »Kommissar Lionel macht gemeinsame Sache mit den Deutschen. Wir werden hinterher behaupten, du hättest uns angegriffen!«
Garmendia läßt sich das nicht zweimal sagen, und gleich darauf taucht er in den Straßen von Pau unter. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche, und für einen Schmuggler ist es kein Problem, die Grenze zu überqueren.
Januar 1945. Die Deutschen haben Pau verlassen. Kommissar Rameau hat das Amt seines Kollegen Lionel übernommen, der geflüchtet ist. Unter den Akten, die er vorfindet, ist der bedeutendste Fall natürlich der Doppelmord von Béhobie. Zunächst, weil es sich um ein besonders abscheuliches Verbrechen handelt, und dann auch, weil die Details dieses Falles nicht nur verwirrend, sondern teilweise geradezu unglaublich erscheinen.
Da ist einmal der im Eiltempo durchgezogene Prozeß gegen José Irracabal, der trotz erdrückender Beweise freigesprochen wurde und der sich anschließend sofort nach Spanien absetzte. Dann gab es den Versuch seines Vorgängers, den Ehemann des Opfers zu beschuldigen, ein Vorgehen, das zweifellos von den deutschen Behörden diktiert worden war.
Kommissar Rameau würde gern Grégoire Ollier zu sich zitieren, den Nachtwächterkollegen von Garmendia, dessen spätere Aussage als Vorwand für Garmendias Verhaftung gedient hatte. Doch Ollier ist ebenfalls verschwunden. Ganz sicher hatte auch er kein ruhiges Gewissen.
Was den Kommissar jedoch völlig außer Fassung bringt, sind zwei in der Akte enthaltene Fakten, die niemals an die Öffentlichkeit gelangt sind. Da ist einmal der Autopsiebefund von Antoinette Garmendia. Demnach ist die junge Frau vergewaltigt worden. Jawohl, vergewaltigt! Kann man sich vorstellen, daß ein Ehemann seine Frau vergewaltigt? Während andererseits der seit vielen Jahren verwitwete Irracabal sich ganz allein mit dieser jungen Frau im Haus befand, die ihm vollkommen ausgeliefert war. Und dann ist da noch ein
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