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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Knacklauten.
    »Genau so war’s, Sir, denn hab ich sie nicht selbst gefunden? ›Fevvers‹, so haben wir sie genannt, und so wird sie auch bis ans Ende der Geschichte heißen, obwohl der Pfarrer dann gesagt hat, als wir mit ihr zur Taufe nach Clement Dane’s sind, so einen Namen hätt er noch nie gehört, und deshalb muß nun Sophie als legaler Aufkleber herhalten.
    Komm, Schätzchen, machen wir mal die Schminke ab.«
    Lizzie war eine winzige, vertrocknete, zwergenhafte Erscheinung schwer zu schätzenden Alters zwischen dreißig und fünfzig. Klappend-zubeißende schwarze Augen, dunkle Haut, Anfänge eines Schnurrbarts auf der Oberlippe und kurzgeschnittenes Kraushaar in drei Farben - hellgrau an den Wurzeln, dunkles Grau in der Mitte, hennaverbrannt an den Spitzen. Die Schultern ihres knappen, wohlanständig-schwarzen Kleids waren weiß vor Schuppen. Sie bewegte sich mit der rasch reizbaren Schnelligkeit einer Terrierhündin; sofort erkannte man die einstige Nutte. Sie zog eine Glasdose aus dem Schutt auf dem Schminktisch hervor, grub eine Handvoll Reinigungscreme mit krummer Klaue heraus und klatschte sie - zack - in Fevvers’ Gesicht.
    »Nehmen Sie sich noch ’nen Spritzer Sekt, Süßer, bis wir fertig sind«, lud sie Walser ein, während sie ihren Pflegling mit einem Wattebüschel abscheuerte. »Uns kostet der nichts. Ist doch von irgendeinem Herzog, oder? So, mein Liebling...« Sie wischte die Creme ab und streichelte plötzlich, unerwartet, zärtlich die Artistin.
    »Das war der französische Herzog«, sagte Fevvers, die nun beefsteakrot und glänzend auftauchte. »Nur eine Kiste, das geizige Schwein. Auf geht’s, noch einen Schluck, junger Mann, Menschenskind, Sie bleiben zurück! Die Damen können sich doch nicht ganz allein einen einpfeifen! Was fürn Gentleman wollen Sie denn sein?«
    Außerordentlich rauh-metallische Stimme - Klirren von Alt- oder vielleicht gar Bariton-Mülleimern. Sie tauchte unter einer neuen Handvoll Creme unter, und es trat eine lange Stille ein.
    Seltsamerweise war Fevvers’ Garderobe trotz der chaotischen Unordnung (wie das Trümmerfeld nach einer Explosion im Laden einer corsetière ) bemerkenswert anonym. Nur das riesige Plakat mit seiner in Holzkohle gekritzelten Botschaft »Toujours, Toulouse« - und das war nur Eigenwerbung - erinnerte den Besucher an jenen Teil von ihr, den sie hinter der Bühne verborgen hielt. Abgesehen davon lehnte nicht einmal eine signierte Photographie zwischen den Schminktöpfen auf dem Tisch, nur ein Sträußchen Parmaveilchen, in ein Marmeladeglas gestopft, wohl ein Ableger des überquellenden Blumenflors ihrer Liebeskorrespondenz auf dem Kaminsims. Keine Maskottchen, keine schwarzen Porzellankatzen oder Töpfe mit weißem Heidekraut. Keine Gegenstände irgendeines persönlichen Luxus’ - Sessel, Teppiche. Nichts, was sie verraten könnte. Die Garderobe eines Stars, kärglich-geizig wie die Dachkammer eines Küchenmädchens. Die einzigen Spuren ihrer selbst, die sie ihrer Umgebung eingeprägt hatte, waren die paar blonden Haare, die das durchscheinende Stück Pears-Seife in der gesprungenen Schale des billigen Waschtisches aus Tannenholz quer streiften.
    Das stumpfe Ende einer emaillierten Sitzbadewanne, voll mit dem seifenschaumigen Wasser vorhergegangener Waschungen, schaute hinter einem Kanevaswandschirm hervor, über den ein rosa Trikot herabbaumelte, was auf den ersten Blick aussehen mochte, als hätte sich Fevvers eben die Haut abgezogen. Wenn ihr ragender Kopfputz aus gefärbten Straußenfedern achtlos in den Kamin geschoben worden war, so hatte Lizzie das andere Kleidungsstück, das ihre Herrin beim ersten Auftritt vor ihrem Publikum getragen hatte, mit etwas mehr Respekt behandelt und hatte die Robe aus roten und purpurnen Federn ausgeschüttelt und auf einen Holzbügel gehängt; nun hing sie von einem Nagel in der Garderobentür, wo ihre delikaten Wimpernränder ständig im Zug von den schlecht schließenden Fenstern her erschauerten.
    Auf der Bühne des Alhambra war Fevvers beim Aufgehen des Vorhangs als in sich zusammengesunkener Federball zu sehen, unter diesem Gewand, hinter Gitterstäben, in einem Rauschgoldkäfig, und das Orchester im Graben sägte und krähte »Only a bird in a gilded cage«. Wie angemessen war diese Kitschmelodie - sie hob das Billig-Unechte des Spektakels hervor, erinnerte an die Gerüchte, daß das Mädchen angeblich seine Karriere in der Freakshow begonnen hatte. (Überprüfen, dachte Walser.) Und während

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