Nächte im Zirkus
splitternden Krachen, ein großes gezacktes Loch zurücklassend, seine eigene Silhouette in dem zerbrechlichen Holz. Da ist er wieder, lebensgroß und über und über weiß und rot und schwarz! »Donner und Blitz, habt wohl gedacht, ich wär tot!«
Tumultuarische Auferstehung des Clowns. Er springt aus dem Sarg, während die Träger ihn noch auf den Schultern haben, und landet nach einem Doppelsalto auf dem Boden. (Er hat als Akrobat angefangen.) Beifallsgebrüll und Jubelrufe. Er rennt um die Manege herum, schüttelt Hände, küßt die Babys, die nicht vor Schrecken weinen, fährt starräugigen Kindern durchs Haar, die nicht recht wissen, ob sie lachen oder Tränen vergießen sollen. Buffo war tot, und nun lebt er wieder.
Und alle springen davon, von dem dämonischen, boshaften, verzauberten Bacchanten angeführt, fort aus der Manege.
Die anderen Clowns nannten ihn den Alten, als Zeichen des Respekts, obwohl er noch nicht ganz fünfzig war und sich langsam seinem Klimakterium näherte.
Seine persönlichen Gewohnheiten wurden von seinem gigantischen und immerwährenden Durst regiert. Seine Taschen waren stets mit Flaschen vollgestopft; er trank mächtig, doch das Trinken schien ihm selbst immer irgendwie unbefriedigend, als wäre der Alkohol ein unzureichendes Surrogat für ein stärkeres oder solideres Rauschmittel, als hätte er gerne die ganze Welt auf Flaschen gezogen, wenn er gekonnt hätte, sie in seine Kehle gegossen und gegen eine Wand gepißt. Wie Fevvers war er ein waschechter Cockney - sein richtiger Name war George Buffins, aber den hatte er lange schon vergessen; doch war er ein großer Patriot, britisch bis auf die Knochen, wenn es ihn auch ebenso weit umhergetrieben hatte wie die Truppen des britischen Empire, im Dienste des Witzes.
»Wir bringen uns selbst um«, sagte der Große Buffo. »Oft hängen wir uns an jenen bunten Hosenträgern auf, von denen unsere Hosen gehalten werden - die weit sind, wie die Gewänder der Moslems, welche sie tragen, damit der Messias keinem Manne geboren werde. Oder manchmal kann man auch dem Löwenbändiger eine Pistole entführen, die Platzpatronen mit echter Munition vertauschen. Peng. Eine Kugel durch den Kopf. In Paris kann man sich vor die Metro werfen. Oder wenn man das Glück hat, sich allen modernen Komfort leisten zu dürfen, kann man sich in seinem einsamen Dachstübchen den Gashahn aufdrehen, wie? Die Verzweiflung ist die ständige Gefährtin des Clowns.
Denn häufig enthält das Auftreten des Clowns kein Element von Freiwilligkeit. Oftmals, müßt ihr wissen, wenden wir uns einer Existenz als Clown zu, wenn alles andere gescheitert ist. Unter der undurchdringlichen Maske weißer Schminke könnte man, wenn man nur nachsehen wollte, die Züge derer entdecken, die einstmals stolz waren, sichtbar durchs Leben zu gehen. Dann findet man, zum Beispiel, den Seiltänzer, den die Nerven verlassen haben, den Kunstreiter, der einmal zu oft vom Pferderücken gefallen ist, den Jongleur, dessen Hände so sehr zittern - vom Trunk, vor Gram -, daß er seine Bälle nicht mehr in der Luft halten kann. Und was bleibt dann außer der weißen Maske des armen Pierrot, die zu jenem Gelächter einlädt, das sich sonst ungebeten einstellen würde.
Das Lachen des Kindes ist rein, bis es das erste Mal über einen Clown gelacht hat.«
Die großen weißen Köpfe um den langen Tisch nicken langsam zustimmend.
»Die Heiterkeit, die der Clown hervorruft, wächst mit dem Ausmaß der Demütigungen, die er erleiden muß«, fuhr Buffo fort und füllte sich sein Glas wieder mit Wodka. »Und doch könnte man, nicht wahr, sagen, daß der Clown das getreue Abbild Christi ist.« Mit einem Nicken weist er auf die milde glänzende Ikone in der Ecke der stinkenden Küche, wo die Nacht in Gestalt der Kakerlaken umherkriecht. »Der Verschmähte und Verworfene, der Sündenbock, auf dessen gebeugte Schultern sich die Wut des Mobs entlädt, der Gegenstand und doch - und doch! auch das Subjekt allgemeinen Gelächters. Denn was wir sind, haben wir uns zu sein gewählt.
Ja, junger Mann, junger Jack, junger Erster Mai, wir unterwerfen uns bewußt dem Gelächter. Wir sind die Huren der Fröhlichkeit, denn wie eine Hure wissen wir, was wir sind: Wir sind bloß gemietet und arbeiten hart, und doch sehen uns die, die uns gemietet haben, als Wesen, deren Leben ein einziges Vergnügen ist. Unsere Arbeit ist ihr Genuß, und deshalb nehmen sie an, unsere Arbeit muß auch unser Genuß sein, so daß stets ein
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