Nächte im Zirkus
gleich wieder!«
Der Clown mag die Quelle der Heiterkeit sein, aber - wer wird den Clown zum Lachen bringen?«
»Wer wird den Clown zum Lachen bringen?« flüsterten sie zusammen und raschelten wie hohle Puppen.
Der kleine Iwan, der den Sinn des ausländischen Geplappers nicht erfassen konnte, das aus den weißgekalkten Lampiongesichtern um den Tisch herum drang, lief umher und sammelte die klappernden Suppenteller ein, voll Angst und doch mehr und mehr fasziniert von dieser Invasion mürrischer, geschminkter Komödianten. Das Mahl, wenn man es so bezeichnen konnte, war vorüber. Alle holten Pfeifen, Tabak und neuen Wodka hervor, während die Babuschka vor dem Samowar kniete und mit ihren Händen, die von Jahrzehnten alltäglicher Mühsal deformiert waren, ihre endlosen, inhaltslosen, gebetsähnlichen Gesten machte. Ihre Tochter, die Mörderin, die einen mit der Axt erschlagen hatte, war weit weg in Sibirien, doch obwohl das Leben der Babuschka sich aus jenen Gesten zusammensetzte, die einem Gebet glichen, hatte sie nicht mehr die Energie, für die Seele ihrer Tochter zu beten. Die Holzkohle glühte rot auf, wurde schwarz, glühte rot.
»Und doch«, begann Buffo wieder, nach einem Zug an der Flasche, »besitzen wir ein Privileg, ein seltenes Privileg, das unsere verachtete und ausgestoßene Stellung zu etwas Wundervollem, etwas Kostbarem werden läßt. Wir können unsere eigenen Gesichter erfinden! Wir erschaffen uns selbst.«
Er deutete auf das Weiß und Rot, das über seinen eigenen, niemals sichtbaren Gesichtszügen lag.
»Die Regeln des Zirkus gestatten keine Nachahmung, keine Veränderung. Wie sehr auch Buffos Gesicht dem von Grik zu gleichen scheinen mag, oder dem von Grok, oder von Coco, oder Pozzo, Pizzo, Bimbo, oder dem Gesicht irgendeines anderen Pierrot oder August, es ist trotz allem ein Fingerabdruck von echter Verschiedenheit, ein echter Ausdruck meiner Eigenständigkeit. Und so trete ich hinter meinem Gesicht zurück. Ich bin zu diesem Gesicht geworden, das nicht meines ist, und doch habe ich es frei gewählt.
Wenigen ist es gegeben, sich selbst so zu formen, wie ich es getan habe, wie wir es getan haben, wie du es getan hast, junger Mann, und in diesem Moment der Entscheidung - köstliches Zögern zwischen den Stiften... was für Augen soll ich haben, was für einen Mund? - liegt eine vollkommene Freiheit. Doch ist die Wahl einmal getroffen, bin ich entsprechend dazu verdammt, für immer ›Buffo‹ zu sein. Buffo auf ewig; lang lebe der Große Buffo! Der weiterleben wird, solange sich irgendwo ein Kind an ihn erinnert als an ein Wunder, ein Rätsel, ein Monster, ein Ding, das man, hätte es nicht existiert, hätte erfinden müssen, um kleine Kinder die Wahrheit über das dreckige Leben in dieser dreckigen Welt zu lehren. Solange sich noch ein Kind erinnert...«
Buffo streckte seinen langen Arm aus und griff Klein-Iwan zielbewußt von hinten zwischen die Beine, als er mit den Teegläsern vorbeiging.
»...ein Kind wie der kleine Iwan«, sagte Buffo, der nicht wußte, daß Iwan oben auf dem Ofen versteckt zugesehen hatte, wie seine Mutter seinen Vater zusammenhieb, und annahm, das Kind sei unschuldig und naiv.
»Jedoch -«, fuhr er fort, »bin ich jener Buffo, den ich erschaffen habe? Oder habe ich, als ich mein Gesicht so geschminkt habe, daß es wie das von Buffo aussah, ex nihilo ein anderes Selbst geschaffen, das nicht Ich ist? Und was bin ich ohne mein Buffo-Gesicht? Gar nichts! Man nehme mir meine Schminkmaske, und darunter liegt lediglich Nicht-Buffo. Eine Lücke. Eine Leere.«
Grik und Grok, das Paar Musikclowns, alte Veteranen, stets zusammen, Philemon und Baucis unter den Clowns, wandten ihre Gesichter in Walsers Richtung, wobei sie sich vorneigten, um das schwache Lampenlicht besser zu nutzen, und er sah, daß diese Gesichter Spiegelbilder waren, in jeder Einzelheit übereinstimmend, nur daß Griks Gesicht sozusagen linkshändig war, Groks rechtshändig.
»Manchmal scheint es«, sagte Grok, »daß die Gesichter eine eigene Existenz haben, unabhängig, in einem körperlosen Irgendwo, und sie warten, welcher Clown sie tragen wird, wer sie zum Leben erwecken wird. Gesichter, die in den Spiegeln unbekannter Garderoben warten, unsichtbar in den Tiefen des Glases wie Fische in staubigen Teichen, Fische, die aus der tiefen Dunkelheit aufsteigen, wenn sie den einen erkennen, der sein eigenes Bild besorgt und prüfend betrachtet und das Gesicht sucht, das jenem fehlt... menschenfressende
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