Nächte im Zirkus
Abgrund ist zwischen ihrer Vorstellung von unserer Arbeit als Vergnügen und unserer von ihrer Muße als unserer Mühe.
Und was die Fröhlichkeit und das Gelächter betrifft, o ja, Jung-Jack!« - zu Walser gewandt und ein mahnendes Glas in seine Richtung schwenkend - »Glaub nicht, daß ich nicht schon oft über das Gelächter meditiert habe, während ich in meinen allzumenschlichen Lumpen im Sägemehl daliege. Und willst du wissen, was ich glaube? Daß man im Himmel nicht lacht, nein, nein, im Himmel wird nicht gelacht.
Stellen wir uns die Heiligen als die Nummern eines großen Zirkus vor. Katharina jongliert mit ihrem Rad. Der heilige Laurentius auf dem Rost könnte in jede Freakshow passen. Sankt Sebastian, die beste Messerwerfernummer, die es je gab! Und Hieronymus und sein gelehrter Löwe mit der Tatze auf dem Buch, hervorragende Dressurnummer, läßt diese abessinische Fose und ihre Miezen weit hinter sich!
Und der große Zirkusdirektor über den Wolken, mit dem weißen Bart und dem erhobenen Zeigefinger, für den alle diese und viele andere weniger heilige Artisten ihre Auftritte in dem endlosen Manegenring aus Feuer einstudiert haben, der den kreisenden Globus umgibt. Aber kein Lacher, kein Kichern dort droben. Die Erzengel können rufen: ›Wir wollen die Clowns!‹ bis sie heiser sind, aber das himmlische Orchester wird niemals mit seinen Harfen und Pauken den ›Einzug der Gladiatoren‹ intonieren, keine Angst! Denn wir sind dazu verdammt, hier drunten zu bleiben, an das Kreuz der endlosen Demütigungen dieser Welt genagelt!
Die Menschensöhne. Vergiß es nie, mein Junge, wir Clowns sind die Menschensöhne.«
Die anderen psalmodierten eintönig nach: »Wir sind die Menschensöhne«, wie eine rituelle Antwort.
»Du mußt wissen«, fuhr Buffo mit seiner Grabesstimme zu Walser gewandt fort, »du mußt wissen, daß das Wort ›Clown‹ vom altnordischen ›klunni‹ herzuleiten ist, und das heißt unbeholfen, tölpelhaft. ›Klunni‹, verwandt mit dem dänischen ›kluntet‹, plump, ungeschickt, und dem Dialektwort ›gormless‹ aus Yorkshire, was bekanntlich dieselbe Bedeutung hat. Du mußt wissen, wozu du geworden bist, junger Mann, wie das Wort dich definiert, nachdem du jetzt dich entschlossen hast, den Kopf im Beruf des Clowns zu verlieren.«
»Ein Clown!« murmelten sie leise-verträumt vor sich hin. »Ein Clown! Willkommen in Clown Alley!«
Inzwischen war die Mahlzeit zugleich mit Buffos Predigt weitergegangen. Löffel kratzten Steingutschüsseln mit Fischsuppe leer; die spreizfingrigen weißbehandschuhten Hände langten nach den Brocken schwarzen Brots - Nahrung, traurig und dunkel wie die Leidensgemeinde, die um den wackligen Tisch versammelt war. Buffo, ein Glas verächtlich von sich weisend, goß sich nun Wodka direkt aus der Flasche in den Hals.
»Es gibt eine Geschichte, die man sich von mir erzählt, ja, von mir, Buffo dem Großen, und die man sich von jedem Clown erzählt hat seit Anbeginn dieses leidvollen Berufes«, intonierte Buffo. »Einst von dem melancholischen Domenico Biancolette erzählt, über den sich das siebzehnte Jahrhundert schieflachte; erzählt von Grimaldi; erzählt von dem französischen Pierrot, Jean-Gaspard Deburau, dessen Erbteil der Mond war. Diese Geschichte ist nicht ganz genau wahr, aber sie hat die poetische Wahrheit eines Mythos, und so heftet sie sich ausnahmslos an jeden Erzeuger des Gelächters. So geht sie:
›In Kopenhagen erfuhr ich einst die Nachricht vom Tode meiner geliebten Mutter, durch ein Telegramm, am Morgen desselben Tages, an dem ich meine angebetete Frau beerdigt hatte, die gestorben war, nachdem sie einen totgeborenen Sohn zur Welt gebracht hatte, den einzigen, der je meinen Lenden entsprungen ist, wenn ›entsprungen‹ nicht ein zu energisches Wort ist für diesen zögerlichen Fleischklumpen, der ihrem Schoß entkrochen ist, bevor sie den Geist aufgab. Alle, die ich liebte, mit einem furchtbaren Schlag ausgelöscht! Und trotzdem, bei der Matinee im Tivoli kugele ich in der Manege umher, und das Publikum hält sich die Seiten. Von untröstlichem Kummer überwältigt rufe ich: ›Der Himmel ist voll Blut!‹ Und alles lacht noch mehr. Wie komisch der ist, mit den Tränen auf den Wangen! In Zivil dann, in Trauer, in irgendeiner Kneipe zwischen den Vorstellungen, sagt das nette Mädchen hinter der Theke: ›Mensch, Alter, was für ein langes Gesicht! Ich weiß, was du brauchst. Geh ins Tivoli, schau dir den Großen Buffo an. Da lachst du
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