Nächte im Zirkus
fällt. Sein Umfang ist dabei schon der halbe Witz: daß er so groß, so übergroß ist und doch die simpelsten Bewegungsabläufe nicht bewältigt. Dieser Riese ist das Opfer der Tücke des Objekts. Die Objekte sind gegen ihn. Sie führen Krieg mit ihm. Wenn er eine Tür aufmachen will, bleibt ihm die Klinke in der Hand.
In Augenblicken der Verblüffung schießen seine Augenbrauen, buschig und mascaraschwarz, die Stirn hinauf, und sein Unterkiefer fällt herunter, als zögen einander entgegengesetzte Magneten an Stirn und Kinn. Die Zunge verwundert gegen die gelben Grabsteinzähne schnalzend setzt er die Klinke mit übertriebener Sorgfalt vorsichtig wieder an. Macht einen Schritt zurück. Nähert sich der Tür wieder mit lachhaft unberechtigter Zuversicht. Nimmt die Klinke fest, fest in die Hand: diesmal weiß er, es kann nichts geschehen... hat er sie nicht eben erst selbst befestigt? Jedoch -
Gegenstände zerfallen in ihre Bestandteile, wenn nur sein Tritt den Boden in Schwingung versetzt. Er selbst ist das Zentrum, das keine bewahrende Kraft mehr hat.
Seine Spezialität ist gewalttätiger Slapstick. Gerne verbrennt er Clownpolizisten bei lebendigem Leibe. Als verrückter Priester steht er Clownhochzeiten vor, bei denen Grik oder Grok in Frauenkleidern erlesensten Demütigungen unterworfen werden. Sie führen auch ein beliebtes »Weihnachtsessen der Clowns« auf, bei dem Buffo seinen Christusplatz an der Tafel einnimmt, Tranchiermesser in der einen Hand, Gabel in der anderen, und irgendein armer August wird mit einem Hahnenkamm auf dem Kopf als Festgeflügel aufgetragen. (Zahlreiche Gags mit den langen Würsten, mit denen die Hosen des Vogels vollgestopft sind.) Doch dieser Braten, so geht es in Buffos Welt, steht auf und will davonlaufen...
Buffo der Große, der Clown der Clowns.
Er verehrt die alten Späße, die zusammenbrechenden Stühle, die explodierenden Torten. Er sagt: »Die Schönheit des Clownesken liegt darin, daß sich niemals etwas ändert.«
Auf dem Höhepunkt seiner Nummer, nachdem alles um ihn herum zerschellt ist, als hätte eine Bombe eingeschlagen, beginnt er selbst sich aufzulösen. Sein Gesicht verzerrt sich in den entsetzlichsten Grimassen, als ob er das nasse Weiß, mit dem es bedeckt ist, von sich schleudern wollte: Schüttel dich! Rüttel dich! Schüttel die Zähne heraus, rüttel die Nase hinweg, schüttel die Augäpfel fort, laß alles in einem konvulsivischen Akt der Selbstverstümmelung davonfliegen.
Er fängt an, sich auf der Stelle um sich selbst zu drehen.
Und dann, wenn man denkt, diesmal muß der Große Buffo tatsächlich in all seine Einzelteile auseinanderfliegen, als wäre er zu seiner eigenen Zentrifuge geworden, endet der grollende Trommelwirbel, der diese außergewöhnliche Darbietung begleitet hat, und Buffo springt zuckend hoch in die Luft, um auf den Rücken zu fallen.
Schweigen.
Die Lichter werden schwächer.
Ganz, ganz langsam und traurig beginnt nun der Trauermarsch aus Saul, angeführt von Grik und Grok, den Musikclowns, mit Baßtrommel und Pikkolo, mit winziger Geige und riesigem Triangel (geschlagen mit einem Fußtritt nach hinten), Grik und Grok, die in sich ein ganzes Orchester enthalten. Dies ist die als »Des Clowns Begräbnis« bekannte Nummer. Der Rest der Clowns trägt einen überdimensionalen Sarg herein, drapiert mit dem Union Jack. Sie stellen den Sarg in das Sägemehl neben Buffo. Sie fangen an, ihn hineinzulegen.
Aber paßt er hinein? Natürlich nicht! Seine Beine und Arme lassen sich nicht biegen, lassen sich nichts befehlen! Niemand kann diese Naturkraft einsargen, selbst wenn sie tot ist. Pozzo oder Bimbo rennt davon und holt eine Axt, mit der man hier und da ein Stück von ihm abhauen kann, damit er sich dem Sarg anpaßt. Die Axt ist, wie sich herausstellt, aus Gummi.
Schließlich und endlich nach allen möglichen kuriosen Kapriolen gelingt es ihnen, den Toten in den Sarg zu befördern und den Deckel draufzulegen, wenn der sich auch immer wieder regt und verschiebt, denn der tote Buffo kann und will nicht stilliegen. Die Clowns heben den Sarg auf die Schultern; sie haben gewisse Schwierigkeiten, sich als Träger aufeinander abzustimmen. Einer fällt auf die Knie, und als er sich wieder erhebt, sinkt ein anderer zu Boden. Früher oder später aber ruht der Sarg auf ihren Schultern, und sie schicken sich an, in feierlicher Prozession die Manege zu verlassen.
Da bricht Buffo durch den Sargdeckel! Direkt hindurch. Mit einem lauten
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