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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ehe?« Katherine behielt ihren leichten Tonfall bei. Sie hatte auf eine derartige Frage gewartet. »]a. In gewisser Hinsicht war ich das auch. Aber dann müsste man die Hälfte der Menschheit als Versager betrachten. Weißt du, das schwerste ist nicht, sich als Versager zu bezeichnen, sondern sein Versagen zu akzeptieren.«
    »Ich habe bei Drew versagt, und ich akzeptiere das. Ist es das, was du von mir hören willst?«
    »Ich will überhaupt nichts von dir hören, es sei denn, du selbst möchtest mit mir reden.«
    »Ich habe bei mir selber versagt.« Emma sprang auf und knallte ihren Kaffeebecher auf den Tisch. »All die Monate war es meine Schuld. Ist das die richtige Antwort?«
    »Das sollst du mir sagen.«
    Mit einer bösen Verwünschung auf den Lippen drehte Emma sich um und lehnte sich über das Geländer. »Hör auf damit. Wenn ich einen Psychiater wollte, dann hätte ich schon längst einen aufgesucht.«
    Katherine erhob sich. Sie war nicht so groß wie Emma, aber sie strahlte eine starke Autorität aus, als sie mit schneidender Stimme sagte: »Kennst du eigentlich die Statistiken? Weißt du, wie viele Frauen pro Jahr misshandelt werden? Ich schätze, in diesem Land ist es eine alle achtzehn Sekunden. Überrascht?« fragte sie, als Emma sie verwundert ansah. »Glaubst du, du gehörst einem exklusiven Klub an? Du bist beileibe kein Einzelfall, Emma. Und weißt du, wie viele Frauen trotz allem bei ihren Peinigern bleiben? Mehr, als du dir vorstellen kannst. Und das liegt nicht immer daran, dass sie keine Freunde oder keine Familie haben, die ihnen helfen würden. Es liegt auch nicht immer daran, dass diese Frauen arm oder ungebildet sind. Nein, sie haben Angst, weil man ihnen alle Selbstachtung genommen hat. Sie schämen sich, und sie wissen nicht, was sie tun sollen. Auf eine, der geholfen wird, kommen zehn, die auf sich gestellt sind. Du hast es überlebt, Emma, aber du hast es noch nicht überstanden.«
    »Nein, das habe ich noch nicht.« In Emmas tränenfeuchten Augen funkelte Wut. »Jeden Tag muss ich damit leben. Glaubst du, es hilft mir, darüber zu reden, nach Gründen zu suchen, Entschuldigungen zu finden? Wen interessiert schon, warum es geschehen ist? Es ist geschehen, und damit basta! Und jetzt gehe ich eine Stunde spazieren.« Abrupt drehte Emma sich um und rannte die Treppen hinunter zum Strand.
    Katherine verfügte über einen beträchtlichen Vorrat an Geduld. Zwei Tage lang verlor sie kein Wort über die Unterhaltung zwischen ihr und Emma. Sie wartete ihre Zeit ab, während Emma eine höfliche Distanz wahrte.
    Die Tage verflogen rasch. Da Katherine zum erstenmal in den Staaten war, bot sich Stevie als Reiseführer an. Stundenlange Besichtigungstouren führten sie zu allen Touristenattraktionen, von Disneyland bis hin zur Knoxberry Farm. Am Abend besuchten sie Nachtclubs, manchmal alleine, manchmal zusammen mit den anderen. Doch am liebsten verbrachte Katherine die Abende mit Stevie zu Hause und lauschte stundenlang seinem Gitarrenspiel.
    Dennoch dachte sie unablässig über Emma nach. Stevie hatte Verständnis dafür - vielleicht war das einer der Gründe, warum sie sich in ihn verliebt hatte dass sie hier helfen musste, auch wenn die Hilfe zurückgewiesen wurde.
    Ihre Chance kam eines Morgens, als sie Emma in aller Herrgottsfrühe nach unten gehen hörte. Als Katherine ihr folgte, stellte sie fest, dass die Küche hell erleuchtet war. Emma saß am Küchentisch und starrte aus dem Fenster ins Dunkel.
    »Ich brauche einen Tee«, meinte Katherine leichthin und machte sich am Herd zu schaffen. »Wenn ich so früh aufwache, habe ich immer Lust auf eine Tasse Tee.« Kommentarlos ging sie über die Tränenspuren auf Emmas Wangen hinweg und klapperte mit Tassen und Untertassen. »Ich bewundere deine Mutter, Emma. Sie hat ein Händchen dafür, mit ein paar Kleinigkeiten eine kahle Küche in den gemütlichsten Raum im Haus zu verwandeln. Meine eigene Küche kommt mir dagegen so steril vor wie ein Operationssaal.«
    Sie maß etwas Tee ab und gab ihn in eine bunte Kanne, die wie eine Kuh geformt war.
    »Gestern hat Stevie mir die Universal-Studios gezeigt. Bist du schon mal da gewesen?« Ohne Emmas Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ich könnt' hinter die Kulissen des >Weißen Hais< schauen, und da habe ich mich gefragt, warum mir der Film solche Angst eingejagt hat. Alles eine Frage der Illusionen und Spezialeffekte.« Sie goß den Tee mit sprudelndem Wasser auf, um ihn einige Minuten ziehen zu lassen.

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