Naechtliches Schweigen
formulieren«, erwiderte Katherine. »Allerdings stehe ich seinen Theorien eher skeptisch gegenüber. Im Augenblick erwäge ich nur die verschiedenen Möglichkeiten.«
»Ich denke, wir können Michael streichen. Er hat mich nie gebeten, mit ihm ins Bett zu gehen.«
Nicht, >ihn zu lieben<, hielt Katherine fest, sondern >mit ihm ins Bett zu gehen<. Diese Bemerkung könnte noch einmal von Bedeutung sein. »Möchtest du das denn gerne?«
Mit dem Morgenlicht war auch das Gefühl der Sicherheit zurückgekehrt. »Ich habe mich schon oft gefragt, ob Psychiater nicht einfach nur Klatschbasen sind.«
»Gut, lassen wir das. Darf ich mal einen Vorschlag machen?«
»Sicher.«
»Nimm dir deine Kamera, geh los und mach ein paar Bilder. Drew hat dir so viel weggenommen. Warum beweist du dir nicht selber, dass er dir nicht alles nehmen konnte?«
Emma wusste selber nicht genau, warum sie Katherines Rat befolgte. Es gab nichts, was sie zum Fotografieren reizte. Ihr Lieblingssujet waren immer die Menschen gewesen, aber von denen hatte sie sich schon zu lange ferngehalten. Dennoch vermittelte es ihr ein gutes Gefühl, wieder eine Kamera in der Hand zu halten, verschiedene Objektive auszuprobieren, eine bestimmte Aufnahme zu entwerfen.
Den ganzen Morgen verbrachte sie damit, Palmen und Gebäude durch den Sucher zu betrachten. Die so entstandenen Aufnahmen waren zwar nicht preisverdächtig, das wusste sie, doch mit der Zeit klappten die altvertrauten Handgriffe wieder wie von selbst. Gegen Mittag hatte sie bereits zwei Filme verknipst und fragte sich ernsthaft, warum sie ihre geliebte Arbeit so lange vernachlässigt hatte.
Fast unbewusst lenkte sie ihren Wagen in Richtung von Michaels Haus. Der Sonntagnachmittag war einfach zu schön, um ihn alleine zu verbringen. Sie hatte seit Jahren keine Aufnahme mehr von ihm gemacht. Und Conroy würde ein besonders reizvolles Motiv abgeben. All das waren einleuchtende Erklärungen, an denen sie sich festhielt, bis sie vor seinem Haus anlangte.
Obwohl sein Auto in der Einfahrt stand, reagierte er so lange nicht auf ihr Klopfen, dass sie schon dachte, sie hätte ihn verpasst. Schon beim ersten Klopfen hatte der Hund angefangen, aus vollem Hals zu kläffen, und nun jaulte und kratzte er hinter der Tür. Emma hörte Michael fluchen und grinste.
Als sie ihn in der Tür stehen sah, wusste sie, dass sie ihn aus dem Bett geholt hatte. Obwohl es schon Mittag war, blickte er sie verschlafen an. Er trug nur Jeans, die er offensichtlich rasch übergestreift und nicht richtig geschlossen hatte. Benommen rieb er sich mit einer Hand das Gesicht.
»Emma?«
»Ja. Entschuldige, Michael. Ich hätte vorher anrufen sollen.«
Er blinzelte in die Sonne. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Alles bestens. Hör zu, ich muss weiter. Ich bin nur zufällig in der Gegend.«
»Nein, komm rein.« Michael schielte vorsichtig über seine Schulter. »O Scheiße.«
»Michael, ich glaube, ich komme ungelegen. Ich kann doch...« Sie trat über die Schwelle und versuchte, in dem Dämmerlicht etwas zu erkennen. » Ach herrje!« Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Das Wohnzimmer sah aus, als ob die Vandalen darin gehaust hätten. »Ist bei dir eingebrochen worden?«
»Nein.« Zu betäubt, um auf solche Äußerlichkeiten zu achten, zog Michael Emma in die Küche. Der Hund umkreiste sie bellend.
»Das muss ja eine wüste Party gewesen sein«, stellte Emma fest; leicht verstimmt, dass er sie nicht eingeladen hatte.
»Von wegen. Lieber Gott, gib, dass Kaffee im Haus ist«, murmelte er, während er in den Schränken herumkramte.
»Hier.« In der Spüle entdeckte sie eine Dose Kaffee neben einer Tüte Kartoffelchips. »Soll ich vielleicht...?«
»Nein.« Er schob sie zur Seite. »Ich kann doch wohl noch einen verdammten Kaffee machen. Conroy, wenn du nicht sofort die Schnauze hältst, dann erwürge ich dich mit deiner eigenen Leine.« Um den Hund zu beschwichtigen, schüttete Michael die Chips auf den Boden. »Wie spät ist es eigentlich?«
Emma räusperte sich und entschied, dass es zum jetzigen Zeitpunkt sehr ungeschickt wäre, ihn darauf hinzuweisen, dass die Kaffeemaschine mit einer Digitaluhr ausgestattet war. »Ungefähr halb eins.«
Michael schnitt dem Kaffeelot in seiner Hand eine Grimasse. Offenbar hatte er nicht richtig mitgezählt. Als er eine weitere Ladung Kaffee in den Filter gab, hob Emma ihre Kamera und drückte auf den Auslöser. »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich, als er sie aus glasigen Augen ansah. »Reine
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