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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Leben kam. Der Fall wurde nie aufgeklärt.
    McAvoy, der mit seiner neuen Freundin, der Sängerin Dory Gates, erschienen war, griff zwar persönlich in das Handgemenge ein, wechselte jedoch nur wenige Worte mit Beverly Wilson, die bald darauf mit P. M. Ferguson, dem Drummer der Band und Ex-Ehemann der Schauspielerin Angie Parks, den Ball verließ. Weder McAvoy noch Beverly Wilson gaben einen Kommentar zu dem Vorfall ab, doch Jane Palmer kündigte an, sie wolle dem Ereignis einige Seiten ihres neuen Buches widmen. Um mit McAvoys eigenen Worten zu sprechen: >Die Flammen früherer Leidenschaften scheinen wieder aufzuflackern.«
    Der Artikel ging noch weiter, gab die Kommentare einiger der Anwesenden wieder und beschrieb ausführlich die Kleider der Gäste, speziell die von Jane und Bev, die sie sich in Fetzen gerissen hatten. Doch Emma las nicht weiter. Das musste sie sich nicht antun.
    »Ist das nicht Wahnsinn? Da reißen sie sich in aller Öffentlichkeit gegenseitig die Kleider vom Leib!« Teresas Augen funkelten vor Schadenfreude. »Glaubst du, sie haben sich wegen deines Vaters in die Haare gekriegt? Jede Wette! Er ist aber auch absolut traumhaft. Kommt mir vor wie im Film!«
    »Ach wirklich?« Da sie nur von der Schule fliegen würde, wenn sie Teresa an Ort und Stelle erwürgte, ließ Marianne den Gedanken fallen. Es gab andere, subtilere Wege, mit dieser Idiotin fertig zu werden. Zum Beispiel mit einer Nadel. Jawohl, sie würde Teresa die heißbegehrten Ohrlöcher stechen. Und wenn sie dabei das Eis vergäße, wäre das nur ein Irrtum, weiter nichts. »Du solltest jetzt besser gehen, Teresa. Schwester Immaculata kann jede Minute kommen.«
    Vor Schreck leise quiekend, sprang Teresa auf. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, sich Minuspunkte einzuhandeln. »Komm gegen zehn rüber, dann geb' ich dir meine Unterlagen, und du kannst mir die Ohrlöcher machen.«
    »Wunderbar.«
    Teresa kratzte an ihren Ohrläppchen. »Ich kann's kaum noch erwarten!«
    »Und ich erst recht nicht.« Marianne wartete, bis sich die Tür hinter Teresa geschlossen hatte. »Diese Mistbiene«, knurrte sie verächtlich, dann legte sie Emma den Arm um die Schulter. »Alles in Ordnung?«
    »Es wird nie vorbei sein.« Emma betrachtete erneut das Foto. Eine gute Aufnahme, stellte sie leidenschaftslos fest, gelungene Bildaufteilung, gut ausgeleuchtet. Die Gesichter wirkten nicht verschwommen, jede Einzelheit war klar erkennbar. Und den Hass in den Augen ihrer Mutter konnte man kaum übersehen. »Glaubst du, ich werde mal wie sie?«
    »Wie wer?«
    »Wie meine Mutter.«
    »Komm schon, Emma. Als du sie das letzte Mal gesehen hast, warst du noch ein Baby.«
    »Aber es gibt so was wie Vererbung. Gene und so weiter.«
    »Quatsch!«
    »Manchmal bin ich selber bösartig. Manchmal möchte ich genau so gemein sein, wie sie war.«
    »Na und?« Marianne erhob sich, um Springsteen das Wort abzuschneiden, ehe Schwester Immaculata hereinkommen und die Platte konfiszieren konnte. »Jeder Mensch hat auch unangenehme Seiten. Du weißt doch, dass Fleisch ist schwach und der Mensch voll Sünde.«
    »Ich hasse sie!« Welche Erleichterung, es laut auszusprechen, welch furchtbare, herrliche Erleichterung! »Ich hasse sie. Und ich hasse Bev, weil sie mich ablehnt, und Papa, weil er mich hier eingesperrt hat. Ich hasse die Männer, die Darren umgebracht haben. Ich hasse sie alle. Sie hasst auch alle. Das sieht man in ihren Augen.«
    »Das ist okay. Manchmal hasse ich auch die ganze Welt. Und dabei kenne ich deine Mutter nicht mal.«
    Emma musste lachen. Wieso, konnte sie nicht erklären, aber sie musste lachen. »Ich schätze, ich kenne sie selber nicht.« Seufzend fuhr sie fort: »Ich kann mich kaum noch an sie erinnern.«
    »Na siehst du.« Zufrieden ließ sich Marianne zurücksinken. »Wenn du dich nicht an sie erinnern kannst, dann kannst du auch nicht wie sie werden.«
    Das klang logisch. Emma musste es einfach glauben. »Ich sehe ihr überhaupt nicht ähnlich.«
    In dem Willen, gerecht zu urteilen, griff Marianne nach dem Artikel und studierte die Fotos eingehend. »Kein bißchen. Du gleichst in allem deinem Vater. Laß dir das von einer Künstlerin gesagt sein.«
    Emma spielte an ihren Ohrläppchen. »Willst du Teresa wirklich Ohrlöcher stechen?«
    »Worauf du dich verlassen kannst - und zwar mit der stumpfesten Nadel, die ich auftreiben kann. Möchtest du dich vielleicht auch mal dran versuchen?«
    Emma grinste.

14
    Martinique, 1977
    Noch nie zuvor war Emma so

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