Naechtliches Schweigen
zu jenen übereifrigen, dienstbeflissenem Typ Mädchen, der sich immer freiwillig meldete, stets seine Aufgaben erledigte und als Musterschülerin galt. Marianne verabscheute sie aus tiefster Seele. Doch dickfellig, wie Teresa war, hielt sie alle Beleidigungen für Freundschaftsbeweise.
»Wow! Du läßt dir Ohrlöcher stechen!« Teresa inspizierte die Goldkettchen, die von Emmas Ohren baumelten. »Die Ehrwürdige Mutter kriegt einen Anfall!«
»Warum kriegst du nicht mal einen Anfall, Teresa?« schlug Marianne vor. »Aber bitte in deinem Zimmer.«
Teresa grinste nur Und setzte sich auf den Boden. »Hat das sehr weh getan?«
Emma schlug die Augen auf und wünschte Teresa die Pest an den Hals. »Nein. Ist ein herrliches Gefühl. Als nächstes macht Marianne mir die Nase. Willst du zusehen?«
Teresa ignorierte den Sarkasmus und betrachtete die manikürten Fingernägel. »Ich hätte furchtbar gern auch Ohrlöcher. Wenn Schwester Immaculata wieder weg ist, kannst du mir dann auch welche machen?«
»Ich weiß nicht recht, Teresa.« Marianne wechselte von Billy Joel zu Bruce Springsteen. »Ich hab' meinen Aufsatz noch nicht fertig. Eigentlich wollte ich heute abend daran arbeiten.«
»Ich bin längst fertig.« Teresa lächelte mit falscher Bescheidenheit. »Wenn du mir Ohrlöcher machst, kannst du abschreiben.«
Marianne tat so, als ob sie überlegte. »Gut, abgemacht.«
»Super. Oh, jetzt hätte ich beinahe vergessen, warum ich rübergekommen bin.« Sie wühlte in der Tasche ihrer pinkfarbenen Scheußlichkeit und holte einen Zeitungsausschnitt hervor. »Meine Schwester hat mir den geschickt, weil sie weiß, dass ich mit dir zur Schule gehe, Emma. Sie hat ihn aus People ausgeschnitten. Hast du die Zeitschrift schon mal gesehen? Klasse, sag' ich dir! Sie bringen Fotos von allen Stars. Letztens war Robert Redford auf der Titelseite. Sie schreiben über jeden, der in ist.«
»Ich kenne das Blatt«, sagte Emma kühl, um Teresa zum Schweigen zu bringen.
»Natürlich, da sind ja oft Berichte über deinen Vater drin. Ich wusste, dass du auf das hier ganz wild sein würdest, also hab' ich's rübergebracht.«
Da sich ihr Magen wieder beruhigt hatte, raffte Emma sich auf und griff nach dem Artikel. Sofort kam die Übelkeit mit aller Macht zurück.
DAS EWIGE DREIECK
Das Foto zeigte Bev, die sich mit einer anderen Frau am Boden wälzte. Ihr Vater, auf dessen Gesicht sich hilfloser Zorn abzeichnete, schien gerade nach ihr zu greifen. Bevs Kleid war zerrissen, und ihre Augen loderten vor Wut. Die gleiche Wut hatte in ihren Augen gelegen, als Emma sie das letzte Mal sah.
»Wusste ich's doch, dass dich das interessiert«, freute sich Teresa. »Deswegen hab' ich den Artikel auch sofort rübergebracht. Das ist doch deine Mutter, nicht wahr?«
»Meine Mutter.« Emma starrte Bevs Bild an, ohne es richtig wahrzunehmen.
»Die Blondine in dem Paillettenkleid. Wow, für so ein Kleid könnte ich sterben. Jane Palmer. Sie ist doch deine Mutter, stimmt's?«
»Jane.« Emma konzentrierte sich auf die andere Frau. Die alte Furcht stieg wieder in ihr hoch und schien sie zehn Jahre zurückzuversetzen. Genauso betäubt hatte sie sich gefühlt, als ein anderes Mädchen ihr eine Ausgabe von Devastated, die sie in die Schule schmuggeln konnte, gezeigt hatte. Auf der Rückseite prangte Janes Foto.
Es war Jane. Bev prügelte sich mit ihr, und Papa war auch dabei. Was hatte das zu bedeuten? Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihr auf. Vielleicht hatten sich Papa und Mama versöhnt. Vielleicht wären sie alle bald wieder zusammen.
Sie schüttelte die wirren Gedanken ab und widmete sich wieder dem Text.
»Auf dem Londoner Wohltätigkeitsball im Mayfair war alles vertreten, was Rang und Namen hat, um sich für zweihundert Pfund Eintritt an Lachstatar und Champagner zu laben. Zusätzlich wurde ein kleiner Skandal serviert: Beverly Wilson, erfolgreiche Innenarchitektin und Noch- Ehefrau von Brian McAvoy (Devastation), geriet in eine hitzige Auseinandersetzung mit Jane Palmer, der früheren Geliebten von McAvoy und Autorin des momentanen Bestsellers Devastated. Über den Anlass dieser handgreiflichen Debatte darf spekuliert werden, doch das Gerücht will wissen, dass die alte Rivalität wieder aufflammte. Jane Palmer ist die Mutter von McAvoys Tochter Emma (13), die eine Privatschule in den Staaten besucht. Beverly Wilson, die seit Jahren von McAvoy getrennt lebt, hatte mit ihm einen Sohn, Darren, der vor sieben Jahren unter tragischen Umständen ums
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