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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihrem Vater einen Kuss. »Ich dachte, du wärst in London?«
    »Da war ich auch. Ich habe beschlossen, dass es höchste Zeit ist, mir mal anzusehen, wie meine Tochter so lebt.« Stirnrunzelnd blickte er sich in dem Raum um. Der Boden war mit Kleidungsstücken übersät, eine mit alten Zeitungen, einem halb geleertem Glas und einer Büchse Farbe bedeckte Kiste diente gleichzeitig als Tisch und als Sitzgelegenheit, und aus einem Radio auf dem Fensterbrett dröhnte Musik. Die Trittleiter, ein Kartentisch und ein einzelner Klappstuhl vervollständigten die Einrichtung.
    »Um Himmels willen!« war alles, was Brian dazu einfiel.
    »Wir leben im Moment auf einer Baustelle«, teilte Emma ihm betont freundlich mit. »Es sieht zwar nicht danach aus, aber wir sind fast fertig. Die Maurer müssen hier und da noch etwas tun, und am nächsten Montag kommt der Klempner und macht das Bad fertig.«
    »Hier sieht es aus wie in einer Lagerhalle.«
    »Einer Fabrikhalle, genauer gesagt«, unterbrach Marianne. »Wir haben den Raum mit Glasbausteinen unterteilt. Emmas Idee. Sieht toll aus, nicht wahr?« fuhr sie fort, nahm Brian am Arm und führte ihn durch die Wohnung.
    »Das hier wird Emmas Schlafzimmer. Das Glas schafft einerseits etwas Privatsphäre, läßt aber andererseits genug Licht hinein. Ich ziehe nach oben - in so eine Art Kombination aus Studio und Schlafzimmer. Emmas Dunkelkammer ist schon fertig, und nächsten Montag ist unser Bad nicht nur funktionstüchtig, sondern auch noch eine Zierde der Wohnung.«
    Brian musste widerstrebend zugeben, dass sich hier Möglichkeiten boten. Widerstrebend deshalb, weil die neuen Gegebenheiten Emma weniger als sein kleines Mädchen denn als erwachsene Frau, als Fremde erscheinen ließen.
    »Habt ihr beschlossen, auf Möbel zu verzichten?«
    »Wir wollten warten, bis alles fertig ist.« Emma konnte nicht verhindern, dass sich ein harter Klang in ihre Stimme schlich. »Wir haben's nicht eilig.«
    »Habt ihr wenigstens ein Bier da?« fragte Brian.
    »Nein. Nur alkoholfreies.«
    Voll innerer Unruhe ging Brian zum Fenster. Wollte sie denn nicht einsehen, dass sie wie auf einem Präsentierteller lebte? Die riesigen Fenster, die Gefahren, die in der Stadt selbst lauerten. Nun, da er die Situation beurteilen konnte, zählte auch nicht mehr, dass er das Erdgeschoß gekauft und Sweeney nebst einem Kollegen dort einquartiert hatte. Jedesmal, wenn sie das Haus verließ, war sie verwundbar.
    »Ich hatte gehofft, du würdest in eine bessere Gegend ziehen, in eine sicherere vor allem.«
    »Ins Dakota, zum Beispiel?« fragte sie ironisch und hätte sich im selben Augenblick die Zunge abbeißen mögen. »Tut mir leid, Papa. Ich weiß, Lennon war ein Freund von dir.«
    »Ja, das war er. Und das, was ihm zugestoßen ist, sollte dir eine Lehre sein. Er ist auf offener Straße erschossen worden, und zwar weder aus Habgier noch aus Leidenschaft, sondern einzig und allein deshalb, weil er im Licht der Öffentlichkeit stand. Du bist meine Tochter, Emma, und das macht dich genauso verwundbar.«
    »Was ist denn mit dir?« konterte sie. »Jedesmal, wenn du auf der Bühne stehst, bildest du eine lebende Zielscheibe. Es muss nur ein Wahnsinniger im Publikum sein, was dann? Glaubst du, ich habe nicht daran gedacht?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, das wusste ich nicht. Du hast nie davon gesprochen.«
    »Was hätte das genützt?«
    Ohne etwas zu erwidern, setzte sich Brian auf das Fensterbrett und zündete sich eine Zigarette an. »Nein, Emma, so geht es nicht. Du kannst nicht ändern, wer und was du bist. Ich habe bereits ein Kind verloren. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dem zweiten auch noch etwas zustoßen sollte.«
    »Ich möchte nicht über Darren sprechen.« Der alte Schmerz stieg wieder in ihr hoch und schnürte ihr die Kehle zu.
    »Wir sprechen über dich.«
    »Nun gut. Ich kann nicht länger nach deinen Vorstellungen leben, sonst werde ich dich irgendwann einmal hassen. Deinetwegen habe ich das Saint Catherine's ertragen, Papa, und ein Jahr an einer Universität, die ich verabscheut habe.
    Ich muss mein eigenes Leben leben. Und genau deshalb bin ich hier.«
    Brian inhalierte genüsslich und sehnte sich nach einem Drink. »Fast glaube ich, es wäre mir lieber, du würdest mich hassen. Du bist doch alles, was ich habe.«
    »Das ist nicht wahr.« Langsam ging Emma auf ihn zu. Aller angestaute Groll und alle nie verwundenen Enttäuschungen machten wieder der Liebe Platz, die sie schon immer für ihren Vater

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