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Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
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müde, trotz meiner Freude heute, einer Freude, deren Grund ich nicht kenne, so wie die Freude an einem Sommermorgen. Ich bin müde, jetzt ganz unvermittelt! Lass uns leise miteinander weinen. Weil wir gelitten haben und ganz sachte weitermachen. Der ermüdete Schmerz in einer vereinfachten Träne. Aber jetzt ist es schon das Verlangen nach Dichtung, das gestehe ich, Gott. Lass uns Hände halten im Schlaf. Die Welt dreht sich, und irgendwo gibt es Dinge, die ich nicht kenne. Lass uns auf Gott und dem Geheimnis schlafen, ein ruhiges, zerbrechliches Schiff, das auf dem Meer schwimmt, hier kommt der Schlaf.
    Warum glühte sie, war so schwerelos wie Luft, die von einem Ofen ausströmt, wenn man ihn öffnet?
    Der Tag war wie jeder andere gewesen – vielleicht kam daher die Zunahme von Leben? Sie war aufgewacht voller Tageslicht, ganz durchdrungen. Noch im Bett hatte sie an Sand gedacht, an Meer, ans Trinken von Meerwasser im Haus der verstorbenen Tante, an Fühlen, vor allem Fühlen. Sie wartete einige Sekunden auf dem Bett; da nichts geschah, verbrachte sie einen gewöhnlichen Tag. Sie hatte sich noch immer nicht vom Wunsch-Macht-Wunder befreit, seit sie klein war. So oft war diese Formel wiedergekehrt: das Ding spüren, ohne es zu besitzen. Dabei musste ihr nur alles zu Hilfe kommen, sie schwerelos und unberührt werden lassen, der Magen nüchtern, damit sie die Phantasie empfangen konnte. Schwierig wie das Fliegen und ohne festen Halt für die Füße etwas äußerst Kostbares in den Armen empfangen, ein Kind zum Beispiel. Doch selbst wenn sie allein war, hatte sie erst an einem gewissen Punkt in diesem Spiel nicht mehr den Eindruck, dass sie log – und hatte Angst, nicht in all ihren Gedanken anwesend zu sein. Sie wollte das Meer und fühlte die Bettlaken. Der Tag schritt voran und ließ sie allein zurück.
    Sie hatte noch im Bett gelegen und war ganz still gewesen, hatte fast nichts gedacht, wie es manchmal geschah. Sie betrachtete flüchtig das Haus, das um diese Zeit erfüllt war von Sonne, die hoch aufragenden Scheiben, die glänzten, als wären sie selbst das Licht. Otávio war weggegangen. Niemand zu Hause. Und deshalb niemand in ihrem Inneren, der die wirklichkeitsfernsten Gedanken haben konnte, wenn er wollte. Wenn ich mich dort auf der Erde von den Sternen aus erblickte, wäre ich ganz allein von mir. Es war nicht Nacht, es gab keine Sterne, und es war unmöglich, sich auf diese Entfernung zu erkennen. Während sie sich so ihren Gedanken überließ, fiel ihr jemand ein – große, auseinanderstehende Zähne, wimpernlose Augen –, der sich der Originalität seiner Äußerung sicher war, aber dennoch aufrichtig sagte: Mein Leben ist furchtbar nächtlich. Nachdem er das gesagt hatte, blieb dieser Jemand unbeweglich stehen wie ein Stier in der Nacht; ab und zu drehte er in einer unlogischen, sinnlosen Geste den Kopf, um sich daraufhin wieder auf seine Stumpfheit zu konzentrieren. Er erfüllte alle Welt mit Entsetzen. Ach ja, der Mann gehörte in ihre Kindheit, und neben der Erinnerung an ihn war da ein feuchter Strauß großer Veilchen, die vor Lasterhaftigkeit zitterten … In diesem Augenblick könnte Joana, wenn sie wollte, wacher wäre, sich ein bisschen mehr gehen ließe, ihre ganze Kindheit nacherleben … Die kurze Zeit mit dem Vater, der Umzug in das Haus der Tante, der Lehrer, der sie leben lehrte, die sich geheimnisvoll ankündigende Pubertät, das Internat … die Ehe mit Otávio … aber all dies war viel kürzer, ein einfacher, überraschter Blick würde all diese Tatsachen aufzehren.
    Es war ein bisschen Fieber, ja. Wenn es die Sünde gab, dann hatte sie gesündigt. Ihr ganzes Leben war ein Irrtum gewesen, sie war unbedeutend. Wo war die Frau mit der Stimme? Wo waren die Frauen, die nur Weibchen waren? Und wo die Fortsetzung all dessen, was sie als Kind begonnen hatte? Es war ein bisschen Fieber. Das Ergebnis jener Tage, als sie umherstreifte, tausendmal dieselben Dinge zurückweisend oder liebend. Jener dunklen und schweigsam lebenden Nächte, die kleinen dort oben flimmernden Sterne. Das ausgestreckt auf dem Bett liegende Mädchen, den Blick wachsam ins Halbdunkel gerichtet. Das weißliche Bett in der Finsternis schwimmend. Schleppende Müdigkeit im Körper, die Helligkeit auf der Flucht vor der Krake. Traumfetzen, erste Bilder. Otávio im anderen Zimmer. Und plötzlich bündelt sich die vom Warten herrührende Mattigkeit in einer nervösen, schnellen Bewegung des Körpers, ein stummer Schrei.

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