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Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
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Minute Eure stete Beschäftigung unterbrechen?« Und dann erklärte er: »Zu Euren Diensten, Prinzessin. Euer Wunsch ist mir Befehl.«
    »Papa, was kann ich mal machen?«
    »Geh lernen.«
    »Ich hab schon gelernt.«
    »Geh spielen.«
    »Ich hab schon gespielt.«
    »Dann stör mich nicht weiter.«
    Sie drehte sich schnell wie ein Kreisel, hielt an und betrachtete ohne Neugier die Wände und die Decke, die sich weiterdrehten und sich auflösten. Sie lief auf Zehenspitzen und trat immer nur auf die dunklen Dielenbretter. Sie schloss die Augen und ging mit ausgestreckten Händen umher, bis sie an ein Möbel stieß. Zwischen ihr und den Gegenständen war ein Ding, aber wenn sie dieses Ding mit der Hand einfing wie eine Fliege und dann nachsah – auch wenn sie aufpasste, dass ihr nichts entwich –, stieß sie nur auf ihre eigene, rosige, enttäuschte Hand. Ja, ich weiß schon, die Luft, die Luft! Aber das half nicht, erklärte nichts. Das war eins ihrer Geheimnisse. Sie würde nie zugeben, auch ihrem Vater gegenüber nicht, dass sie »das Ding« nie fangen konnte. Über alles, was besonders wichtig war, konnte sie nicht sprechen. Sie redete nur dummes Zeug mit den anderen. Wenn sie Ruth zum Beispiel ein paar Geheimnisse anvertraute, ärgerte sie sich danach über Ruth. Es war wirklich das Beste, nichts zu sagen. Noch etwas: wenn ihr irgendwas wehtat und sie auf die Uhrzeiger sah, während es wehtat, bemerkte sie, dass die Minuten, die sie an den Zeigern abzählte, vergingen und die Schmerzen immer noch wehtaten. Sogar wenn ihr gar nichts wehtat, wenn sie vor der Uhr stand und sie aufmerksam betrachtete, war auch das, was sie nicht fühlte, größer als die an der Uhr abgezählten Minuten. Geschah also etwas, worüber man sich freuen oder ärgern konnte, lief sie zur Uhr und betrachtete vergeblich die Sekunden.
    Sie ging zum Fenster, zeichnete ein Kreuz auf die Fensterbank und spuckte geradeaus nach draußen. Wenn sie noch einmal spucken würde – jetzt könnte sie es erst wieder abends –, würde das Unglück nicht kommen und Gott würde ihr größter Freund sein, so ein großer Freund, dass … ja, dass was?
    »Papa, was kann ich mal machen?«
    »Ich habe dir schon gesagt, du sollst spielen und mich in Ruhe lassen!«
    »Aber ich hab schon gespielt, ganz ehrlich.«
    Ihr Vater lachte:
    »Aber Spielen hat doch nie ein Ende …«
    »Hat es doch.«
    »Dann denk dir was anderes aus.«
    »Ich will nicht mehr spielen und auch nicht lernen.«
    »Was willst du denn dann machen?«
    Joana überlegte:
    »Mir fällt nichts ein …«
    »Willst du fliegen?«, fragte ihr Vater zerstreut.
    »Nein«, antwortete Joana. – Pause. – »Was kann ich machen?«
    Diesmal polterte ihr Vater los:
    »Stoß mit dem Kopf gegen die Wand!«
    Sie zog sich zurück und flocht sich dabei einen kleinen Zopf in die glatten Haare. Niemals niemals niemals ja ja sang sie leise. Sie hatte gerade Zöpfe flechten gelernt. Sie ging zum Tischchen mit den Büchern, spielte mit ihnen, indem sie sie aus einiger Entfernung anschaute. Hausfrau Ehemann Kinder, grün ist der Mann, weiß die Frau, rot kann Sohn oder Tochter sein. Ist »niemals« ein Mann oder eine Frau? Warum ist »niemals« nicht Sohn oder Tochter? Und »ja«? Ach, es gab so viele Dinge, die einfach nicht zu erklären waren. Man konnte ganze Nachmittage darüber nachdenken. Zum Beispiel: Wer hatte wohl zum ersten Mal gesagt: niemals?
    Ihr Vater war mit seiner Arbeit fertig und sah sie dasitzen und weinen.
    »Aber was ist denn, meine Kleine?« Er nahm sie in die Arme, betrachtete unbeeindruckt das brennende, traurige Gesichtchen. »Na, was denn?«
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Niemals niemals ja ja. Alles war wie der Lärm von der Straßenbahn vor dem Einschlafen, bis du ein bisschen Angst hast und einschläfst. Der Mund der Schreibmaschine war zugeklappt wie der Mund einer alten Frau, aber da kam etwas und drückte auf ihr Herz wie der Lärm von der Straßenbahn, nur dass sie nicht einschlafen würde. Die Umarmung des Vaters. Der Vater dachte einen Augenblick lang nach. Aber keiner kann etwas für den anderen tun, beruhigte er sich. Das Kind läuft so verloren herum, so zart und so frühreif … Er atmete heftiger, schüttelte den Kopf. Ein kleines Ei, genau das, ein kleines, lebendiges Ei. Was wird nur aus Joana werden?

JOANAS TAG
    Die Gewissheit, dass ich einen Hang zum Bösen habe, dachte Joana.
    Was sonst war dieses Gefühl geballter Kraft, das nur darauf wartete, sich in Gewalt zu

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