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Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
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vielleicht diesen Moment zu erreichen. Du wolltest das nicht.«
    Sie antwortete nicht. Wenn sie ihm nicht antwortete, erschrak er immer, kehrte zurück in die Zeit seiner Kindheit, als die Menschen böse mit ihm waren und er voller Reue versprechen musste, wieder lieb zu sein. Er erinnerte sich an eine alte Schuld Joana gegenüber und versuchte sich sofort von ihr zu befreien, damit sie künftig nicht mehr auf ihm lastete. Und obwohl er wusste, dass das jetzt unangebracht war, konnte er sich nicht beherrschen:
    »Du hast recht, Joana: Alles, was wir mitbekommen, ist Rohstoff, aber es gibt nichts, was der Verwandlung entgeht«, begann er, und sogleich überflog Scham sein Gesicht, als er Joanas hochgezogene Augenbrauen sah. Er zwang sich, weiterzusprechen. »Erinnerst du dich nicht, dass du einmal gesagt hast: ›Der Schmerz von heute wird morgen deine Freude sein; es gibt nichts, was der Verwandlung entgeht.‹ Weißt du noch? Vielleicht hast du es nicht genau so gesagt …«
    »Ich erinnere mich.«
    »Gut … In jenem Augenblick schienen mir deine Worte nicht einfach so dahingesagt. Ich war sogar wütend, nehme ich an …«
    »Ich weiß«, sagte Joana. »Du hast gesagt, wenn deine Leber schmerzte, würde ich zu deinen Füßen die gleiche sinnlose Pracht niederlegen.«
    »Ja, ja, genau«, erwiderte Otávio hastig, erschrocken. »Du warst nicht einmal davon beeindruckt, scheint mir. Aber … hör zu, ich glaube, ich habe dir das nicht erzählt: Später habe ich begriffen, dass es keinen überflüssigen Pomp gab in dem, was du gesagt hattest … Ich glaube, ich habe dir das nie eingestanden, oder doch? Nun, ich glaube sogar, dass in diesem Satz die Wahrheit liegt. Es gibt nichts, was der Verwandlung entgeht …« Er errötete. »Vielleicht liegt darin das Geheimnis, vielleicht ist es das, was ich in dir erahnt habe … Es gibt gewisse Gegenwarten, die eine Verwandlung zulassen.«
    Da sie weiter schwieg, gab er sich noch einmal einen Ruck.
    »Du versprichst zu viel … All die Möglichkeiten, die du den Menschen anbietest, in ihnen selbst, mit einem Blick … ich weiß nicht.«
    Und genauso wie sie sich weder hochmütig noch erniedrigt gezeigt hatte, als er sich das erste Mal über ihre sinnlose Pracht lustig gemacht hatte, so triumphierte sie jetzt nicht angesichts von Otávios Befangenheit. Er sah sie an. Und wieder konnte er zu dieser Frau keine Verbindung herstellen. Wieder hatte sie ihn besiegt.
    Es war still im Wohnzimmer, und das Licht und die Leere ruhten auf den weißen Tasten des geöffneten Klaviers. Etwas wurde getötet, langsam und wirklich. Es wäre vergeblich, die Freude zu leben wieder mit diesem Moment zu verknüpfen.
    »Was kommt jetzt?«, murmelte Otávio, und diesmal war er in die Tiefe der Dinge gestürzt, war er zu Joanas Wahrheit hingezogen worden.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie.
    Er sah sie forschend an. Woran dachte sie, so abwesend? Sie schien im Mittelpunkt von etwas Beweglichem zu schweben, ihr Körper trieb dahin, ohne Halt, fast nicht existent. Wie wenn sie etwas Vergangenes erzählte und er erriet, dass sie log. Joanas Kopf bewegte sich dann leicht, sie senkte sacht die Stirn, hob sie, stammelte, es gab einen festen, listigen Kern am Anfang, aber dann war alles fließend und unschuldig. Die Eingebung führte ihre Bewegungen. Und Otávio sah sie selbstvergessen an. Die Angst zog schließlich sein Herz zusammen, denn wenn er sie hätte berühren wollen, würde er es nicht können, um dieses Geschöpf lag ein undurchdringlicher, unmerklicher Kreis, der sie isolierte. Bitterkeit überkam ihn nun, weil er sie nicht als Frau wahrnahm und er sich in seiner Eigenschaft als Mann sinnlos vorkam und doch nichts anderes als ein Mann sein konnte. Im Garten der Cousine Isabel wuchsen früher weiße Rosen. Er hatte sie oft staunend betrachtet, wusste nicht, wie er sie besitzen konnte, weil ihnen gegenüber seine einzige Macht, die eines menschlichen Geschöpfs, nichtig war. Er hielt sie an sein Gesicht, an die Lippen, atmete sie ein. Sie zitterten weiter sanft in ihrer Üppigkeit. Wenn sie wenigstens dicke Blütenblätter hätten – dachte er dann immer –, wenn sie wenigstens hart wären … wenn sie wenigstens beim Herabfallen mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden zerschellen würden … Er fühlte, wie die wachsende Anmut der Blumen ihn durchdrang wie die Anmut Joanas, Joanas Anmut, wenn sie log, und er wurde eine Beute des ohnmächtigen Zorns: Er zerdrückte, zerkaute, zerstörte

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