Nahe Null: [gangsta Fiction]
rundum unabwendbar Kargheit und Odnis. Das Licht von den Behausungen dürftig, Katenlicht, und die Wärme der Menschen schwach, kaum wahrnehmbar. Doch da er mit kindlicher Großmut nicht das liebgewonnen hatte, was am besten war, sondern das, was am nächsten lag, liebte er (O, rus hamlet!) bis heute diese entlegene, ursprüngliche Rus, ihre Trauer und ihre Einöde. Und in seinen schönsten Träumen rannte er über Wiesen mit hohem sonnenheißem Klee, wo sich zwischen dem Flirren von Hummeln und Libellen sein Lachen verlor. Und die Großmutter, im Traum besorgt um ihn, rief ihn ins Haus, Milch trinken, und er antwortete mit einem Lachen und lief weg, ganz klein, manchmal kleiner als das Gras ...
Antonina Pawlowna entstammte einem Schnapsbrennergeschlecht und war die letzte Meisterin einer jahrhundertealten regionalen Bootlegger-Dynastie. Wegen ihres verbotenen Gewerbes von Generation zu Generation verfolgt, waren die Samochodows selbst (auch Jegor war mütterlicherseits ein Samochodow) Nichttrinker, zugleich schroff und einsam, immer für sich, keine Gemeinschafts-, keine Kolchosmenschen. Der grauschwarze Branntwein ihrer Marke war im ganzen Kreis beliebt, unter jeder Regierung.
Belangt wurden sie häufig, aber nicht fatal - Verbannung in nicht allzu entfernte Gegenden, kurze Haftstrafen, erträgliche Geldstrafen oder Beschlagnahmung der Schläuche, Retorten und übrigen simplen Gerätschaften der Dorfalchemisten. Ihr Produkt wurde von allen, einschließlich der Natschalniks, geschätzt. Dennoch endete das Familiengewerbe mit Antonina Pawlowna, ihre Kinder und Enkel zogen in Städte, und sie, das Ohr an die riesigen Kannen gelegt, dem nur ihr verständlichen Gesang der Maische lauschend, versuchte nicht, zum Beispiel Jegor in die verbotenen Geheimnisse von Rüben, Honig, alkoholischer Gärung und Fuselöl einzuweihen. Allerdings nahm sie ihn immer mit an die Grenze des Gartens, ans Flussufer, wo sie ihre winzige, aber ausreichend produktive Schwarzbrennerei eingerichtet hatte.
Er liebte es, das Feuer unterm Kessel zu schüren und zuzuschauen, wie sich im Ballon mit raschen Tropfen der legendäre Vorlauf sammelte. Großmutter erlaubte ihm, den kleinen Finger unter die Tropfen zu halten und zu probieren. Es schmeckte nicht süß, sondern erwachsen, aufregend und vielversprechend (wie der Kuss eines Mädchens aus einer höheren Klasse). Doch darauf beschränkte sich seine Teilnahme am freien Gewerbe seiner Vorfahren.
Einmal vor langer Zeit und noch einmal vor rund zehn Jahren, in seinem letzten Sommer auf dem Land, beteiligte sich auch Onkel Aniskin, der für ihren Kreis zuständige Milizionär, an ihrem Zauberwerk. Aniskin war ein tieftrauriger Mann, der sich für die enge Uniform, die Schulterklappen ohne Sterne, das Halfter ohne Pistole und für seinen offenkundigen, ihm ins Gesicht geschriebenen Alkoholismus schämte. Er half Brennholz tragen und die Maische in den Kessel schütten, saß bis zum Ende der Arbeit schweigend da, leerte verlegen mehrere Gläschen und schlurfte zurück zu seinem von den Nachbarjungs umringten Motorrad. Großmutter füllte ihm frischen grauen Brand in eine Flasche vom Typ »Feuerlöscher«, und vermutlich wurde ihre Karriere deshalb nie durch gerichtliche Belästigungen unterbrochen.
Ihren Hausherrn, Jegors Großvater, hatte Antonina Pawlowna schon vor langer Zeit begraben und lebte am Dorfrand allein vor sich hin; neben dem Brennen von russischem Aquavit ernährte sie sich von Fischfang, der Jagd auf Vögel und Kleinwild, der Reparatur von Radiogeräten und Dächern, der Ikonenmalerei und munterem Spiel auf einer Beute-Mandoline (Großvater hatte Berlin eingenommen). Ein derart vielfältiger Unternehmergeist hätte sie märchenhaft reich machen müssen, aber leider war sie keine Ausnahme - denn was immer der russische Mensch vom Lande auch unternimmt, ob er im Mist wühlt, in den Kosmos fliegt, vor dem Hochofen literweise Schweiß oder im Krieg literweise Blut vergießt, selbst wenn Öl und Gold unter seiner Forke hervorspritzen, so dass ein Franzose bereits reich wäre, ebenso ein Chinese, ein Ukrainer, ja sogar ein sorgloser Berber - bei ihm bleibt kein Kapital hängen. Keine Kopeke, ob groß oder klein. Es bleibt nun einmal nicht hängen, das dünnflüssige Kapital.
Auch Antonina Pawlownas Charakter war nicht eben reich. Ihre Seele war bescheiden beschaffen, ganz naiv - hell auf hell, nur Helligkeit und sonst nichts, und diese Helligkeit war Güte. Mangels anderer Charakterzüge
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