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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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Exfrau bekam eine seltene Krankheit, die mit amerikanischen Testpillen behandelt werden musste. Pillen zu einem horrenden Preis, den nur ein Unternehmen mit sozialer Verantwortung von einem hoffnungslos Kranken erpressen konnte. Beim Verkauf eines Grundstücks, das er vor einiger Zeit erworben hatte, war es, wie sich nun herausstellte, nicht korrekt zugegangen, was einen jahrelangen Rechtsstreit zur Folge hatte, Ausplünderung durch Anwälte und Gaunereien kleiner Beamter inklusive. Mal fiel der Dollar, mal geriet der Rubel ins Schleudern. Oder ein Geschäftsfrühstück ging gleitend in einen Lunch über, dann in eine wilde abendliche Party und schließlich in ein dreiwöchiges Gelage mit Strömen von Chateau Petrus, den agilsten Kollektiven professioneller Mädchen sowie Musik- und Tanzensembles, Einladungen an Gott und die Welt und improvisierten Kurztrips nach Paris zwecks Fortsetzung des Konsums von Wein und käuflichen Vergnügungen. Oder es kam plötzlich zu einer Scheidung, und er musste ein Haus für die Exfrau und Nastja kaufen, monatliche Zahlungen leisten und sich die Klagen über die zu geringen Zuwendungen und die steigenden Ausgaben für das heranwachsende Kind anhören. Aus Frust beschloss er dann zum Beispiel, mittelteure Malerei zu sammeln, wegen der Schönheit und zwecks Kapitalanlage, und kaufte auf Anraten eines Experten und zu einem aberwitzigen Preis irgendein blödes Wasserbild von Aiwasowski und nach seinem eigenen Geschmack ein Aquarell von Klee. Dann verging der Anfall, und der eine unsinnige Erwerb wurde über dem Plasmabildschirm im Fitnessraum aufgehängt, damit er was zum Anschauen hatte, wenn er auf dem Hometrainer schwitzte, und der zweite in eine Mülltüte gesteckt, weil es kein Klee war, sondern eine idiotische Fälschung. Oder sein bester Freund Sidorow lieh sich auf Ehrenwort einen Haufen Geld und verschwand anschließend - spurlos und auf Nimmerwiedersehen.
    Ersparnisse besaß er keine. Schlechter als gewohnt zu leben schien undenkbar, bei Ausbleiben neuer Einkünfte in die Armut abzurutschen blieb dagegen in jedem Augenblick durchaus wahrscheinlich und ganz einfach. Je reicher Jegor wurde, umso gereizter und unsicherer wurde er also. Das »oligarchisch sichere Wesen, die noble Art, die Harmonie« war dieser Sorte von Millionären unbekannt. Ihre Zukunft war nicht abgesichert durch Chemiekombinat-Aktien oder verborgene Offshore-Schätze. Sie war turbulent, unklar und mühsam. Und das Schlimmste, was darin aufscheinen konnte, war die im Hinterhalt künftiger Tage lauernde eigene blasse und armselige Vergangenheit. Die einst beinahe verräterisch dem Vergessen preisgegeben worden war. Mitten in der Nacht verlassen worden, wie ein hilfloses schlafendes Kind, treuebrüchig und grausam, um zu fliehen, immer der Nase nach. Verlassen mit all ihren kläglichen Schätzen, den zuerst verlassenen Geliebten, den Freunden, derer man zuerst überdrüssig geworden war, und den Verwandten mit ihrer provinziellen Aufdringlichkeit. Verlassen ohne Mittel, ohne Hoffnung, herauszukommen aus der Erstarrung der Erinnerung, aus der alttestamentarischen Armut und Naivität. Eine solche Vergangenheit war weinerlich und rachsüchtig wie eine verlassene Frau. Ihr wiederzubegegnen, im vollen Lauf auf sie zu stoßen, hieß verloren sein, für immer untergehen. Darum lief Jegor vor seinen Erinnerungen weg - immer vorwärts, ohne sich umzuschauen, ohne Ziel und ohne zu wissen, was wird, Hauptsache nicht das, was einmal gewesen war.
     

6
    Jegors Mutter war eine starke und bis zur letzten Minute stets gesunde Frau und dennoch chronisch unglücklich. Unglück war ihre Existenz, und sie liebte es abgöttisch. Wahrscheinlich hätte sie auch noch im Paradies Grund zum Traurigsein gefunden. Ihr erster Mann war am Tag der Hochzeit an einem Schlaganfall gestorben, mit vierundzwanzig Jahren. Die Gäste erkannten das Unglück nicht gleich und forderten das Paar mit lauten Rufen zum Küssen auf. Die Braut stand auf, der Bräutigam aber blieb sitzen und blickte erstaunt in die Sülze. Er schaute und schaute, und als die Braut seine Schulter berührte, kippte er auf den Trauzeugen, bereits kalt und halb erstarrt.
    Der Trauzeuge wurde ihr zweiter Mann und Jegors Vater. Im dritten Jahr ihrer unglücklichen Ehe wurde er ernstlich verrückt, gefährlich irre, er tobte und ging ohne Unterschied auf menschliche und tierische Hausgenossen los. Der tote Bräutigam hatte sein Gehirn beschädigt, wovon sich der Trauzeuge nicht

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