Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
Vom Netzwerk:
aufgerissenen Mund schoss. Jäger und Gejagter liefen vom Wohnzimmer, das aussah wie ein unglaublich aufgeblasener Möbelladen mit vier Kaminen und zwei Aquarien, in den ersten Stock, ins Schlafzimmer, wie bald klar wurde. Nach jedem Schuss kratzte sich Albert an der getroffenen Stelle, bis Blut kam, stöhnte, lachte, fluchte und flehte Jegor an, ihn nicht zu töten. Er zog eine breite Spur zähen Schleims hinter sich her, und Jegor hielt sich, um nicht auszurutschen, mit der fingerlosen linken Hand an der mit falschem Sandstein verkleideten Wand fest.
    Jegor kam endgültig zu sich und dachte: Mein Gott, was tue ich hier! Ich will das doch nicht tun, nein, ich will es nicht tun! Er dachte an seine Mondsüchtigkeit und an einen Nabokov-Roman, dessen schlafender Held seine ebenso schlafende Frau erwürgt.
    »Genau wie bei Nabokov, erinnern Sie sich, Jegor Kirillowitsch, in Lolita«, keuchte Mamajew, während er ins Bett kroch und sich durch Kissen, Laken, Hausmäntel, Magazine, Pyjamas und Decken wühlte.
    »Nein, nicht Lolita, Albert Iwanowitsch, das ist in einem anderen Roman von ihm, den Titel habe ich vergessen, da hat eine Figur namens Person im Schlaf ...«, widersprach Jegor.
    »Doch, Lolita, Lolita, liebster Jegor Kirillowitsch«, beharrte der Regisseur. »Da hat Mister Humbert Mister Quilty auch im Schlafzimmer ...«
    »Ah, die Stelle meinen Sie, ach ja, stimmt.« Jegor Kirillowitsch schoss weiter auf Albert Iwanowitsch.
    »Plaksa, rette mich, sag ihm, er soll verschwinden«, schrie Albert Iwanowitsch, der aus dem Bettzeug eine leise schnarchende Schönheit ausgegraben hatte.
    »Hau ab, Alik, und mach nicht solchen Krach mitten in der Nacht, hättest wenigstens einen Schalldämpfer aufsetzen können, du Rumtreiber, hast du denn gar kein Gewissen?«, antwortete Plaksa, ohne aufzuwachen, drehte sich um und schnarchte weiter, nun ein wenig lauter, allerdings recht angenehm.
    Es war also doch ein Spezialeffekt. Hier ist sie ja, das Aas, sie lebt, dachte Jegor beifällig. Und schoss Albert dorthin, wo ohrenbetäubend quakend sein kaltes, froschgrünes Herz schlug, das versuchte, aus dem bereits hilflosen Körper auszubrechen und unters Bett zu hüpfen und sich unter der Fußbodenleiste zu verkriechen. Es war vollbracht.
    In seinen Gedanken existierten nun weder Plaksa, die er streng genommen auch hätte erledigen müssen, dafür hatte er allen Grund, noch seine Abenteuer im Süden, für die er nun gründlich abgerechnet hatte. Er verspürte vielmehr den Arger eines Alkoholikers, der eigentlich trocken war, aber plötzlich doch wieder zur Flasche greift und nun weiß, dass er noch mehr trinken muss und wieder in den vertrauten Morast sinken wird. Das war das letzte Mal. Ich tue es nie wieder. Warum habe ich das getan? Was bin ich bloß für ein Waschlappen, dachte Jegor.
    »Albert Iwanowitsch, wie geht es Ihnen?«, fragte er den Erschossenen flüsternd. Der schwieg, entweder weil er tot oder weil er einfach beleidigt war und nicht mit ihm reden wollte.
    »Vielleicht lebt er ja. Ich muss es versuchen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät«, sprach Jegor zu sich selbst, nahm ein Telefon vom Nachttisch und wählte eine Nummer, den Notarzt, die Miliz oder den Zivilschutz. Mit dem Telefon kam er etwas schlechter zurecht als mit der Pistole, doch beim dritten Versuch antwortete der Hörer mit dem Versprechen, rasch jemanden vorbeizuschicken.
    Dann verging der Ärger, Jegor hörte wieder seine Stille, und ihm wurde leichter. Er setzte sich auf die Bettkante, blieb eine Weile sitzen, wie es bei uns vorm Aufbruch üblich ist, und wandte sich zum Ausgang. An der Tür zögerte er noch einmal, drehte sich um und warf zum Abschied einen Blick auf Plaksa, auf Albert; auf sich selbst, wie er auf dem Bett saß. Als er hinaustrat, stieß er mit zwei hünenhaften Notärzten zusammen. Sie ignorierten Jegor, als sei er gar nicht vorhanden, rannten durch ihn hindurch ins Haus und stampften die filigrane schmiedeeiserne Treppe hinauf.
     

OUTRO
    Gleich hinter der Tür begann, um nie wieder zu enden, ein grenzenloses Feld oder ein Meer gewellten Lichts. Es wiegte sich wie schläfriger hoher Roggen über dem Abgrund des Himmels von Lunino, schwappte über die Grenzen der Zeit hinaus und beleuchtete alles von allen Seiten, so dass es nirgends Schatten gab. Bevor Jegor in seine Wellen hineinschritt, berührte er es mit der Hand - das Licht war warm wie von der Sonne gewärmte Seide. Die Erste, der Jegor dort begegnete, war Nastja. Sie nahm

Weitere Kostenlose Bücher