Nahkampf der Giganten
kam, schienen die vordersten Soldaten zu merken, daß etwas nicht stimmte. In den nächsten Sekunden überschlugen sich die Ereignisse. Im Vorschiff schrillte eine Pfeife, die letzte Stückpforte sprang auf, die Karronade schob sich unbeholfen vor und wurde sichtbar, die Persenning an Deck wurde weggerissen, darunter und aus allen Niedergängen schwärmten Seesoldaten und Matrosen heraus – auf einmal wimmelte das Deck der Sloop von Menschen. Die französischen Soldaten wichen zurück, um sich auf dem geschützten Pfad in Sicherheit zu bringen; aber es war zu spät, denn hinter ihnen versuchten ihre Kameraden, zum Steg vorzustoßen; hier und da rief noch der eine oder andere Hurra und winkte der Trikolore im Masttopp zu.
Die Karronade brüllte los wie Donner. Zwischen den engen Klippen war die Druckwelle der Explosion so stark, daß sie ein paar kleine Steinlawinen löste. Hunderte erschrockener Seevögel flatterten unter Protestgeschrei auf und zogen hoch am Himmel ihre wirbelnden Kreise.
Die mächtige Kugel pflügte durch die dichtgedrängten Soldaten und schlug hinter ihnen in die Lafette des Feldgeschützes. Ein zweites helles Aufblitzen; und als sich der Pulverqualm von Deck verzogen hatte, sah Bolitho den blutigen Pfad, den die Kugel gerissen hatte: rechts und links stürzten Soldaten sterbend nieder. Er senkte den Degen: »Feuer!«
Jetzt kamen die kleinen Bordgeschütze an die Reihe. Sie waren mit Schrapnell geladen, und sobald ihr peitschenartiger Knall sekundenlang die Todesschreie und das Schmerzgebrüll an Land übertönte, mähten die Ladungen aus den kleinkalibrigen Rohren alle, die noch standen, nieder wie Gras.
Bolitho sprang über die Schanz an Land; seine Schuhsohlen rutschten auf Blut und Fleischfetzen; wie ein lebender Strom folgten ihm die Männer, und ihre Augen glühten dumpf, als wären sie halb betäubt von der Schlächterei ringsum.
Schrapnells bohrten sich in den Steg, und mit protestierendem Knarren kam die
Chanticleer
zum Stehen. Ihr Deck bebte, als Matrosen und Seesoldaten an Land stürzten, wo die Offiziere sie in provisorischer Marschordnung formierten.
Nur eine Handvoll Franzosen rannten den Pfad zurück, verfolgt von den Musketenschüssen eifriger Marine-Infanteristen und dem Hohngeschrei der Matrosen, die meist mit Piken und Entermessern bewaffnet waren.
Bolitho packte Ashby am Arm. »Sie wissen, was zu tun ist. Ziehen Sie Ihre Abteilung gut auseinander. Es muß so aussehen, als wären wir doppelt so viele.«
Ashby nickte heftig, sein Gesicht glühte scharlachrot vom Rennen und Schreien.
Es brauchte noch viel mehr Geschrei, um die erregten Seesoldaten in Marschordnung auf den Pfad zu bringen. Hell hoben sich die roten Uniformen von dem schwärzlich-blutigen Hintergrund aus zerfetzten Leichen und gekrümmten Verwundeten ab.
Erst jetzt bemerkte Bolitho, daß der französische Offizier auf seinem Pferd irgendwie vor dem mörderischen Blei verschont geblieben war. Ein Matrose sprang vor und wollte dem Pferd in die Zügel fallen, aber mit einer einzigen raschen Bewegung zog der Offizier seinen Säbel und hieb ihn nieder. Lautlos sank der Mann zu Boden, und wie ein Seufzer stieg es aus den Reihen der wartenden Seesoldaten auf. Ein einzelner Pistolenschuß, und der Offizier sank, wü rdevoll bis zum bitteren Ende, aus dem Sattel; still und stumm lag er neben dem ersten Gefallenen des Landekommandos.
Leutnant Shanks reichte die noch rauchende Pistole seiner Ordonnanz. »Laden!« befahl er kurz und wandte sich dann formell an Hauptmann Ashby: »Ich denke, Sie sollten das Pferd nehmen, Sir.« Elegant schwang sich Ashby in den Sattel und blickte auf Bolitho herab. »Ich reite den Pfad entlang, Sir. Die Festung müßte in etwa zwanzig Minuten zu erreichen sein, glaube ich.« Er wandte sich im Sattel um und beobachtete mit soldatisch-sachverständigem Interesse, wie die erste Abteilung Marine-Infanteristen im Laufschritt ausschwärmten, um auf beiden Seiten des Tales zu rekognoszieren.
Ihre roten Röcke leuchteten durch das spärliche Unterholz.
Zwei Trommler und zwei Pfeifer bezogen Position an der Spitze des Haupttrupps; dann folgte Leutnant Inch mit siebzig Matrosen, die er ebenfalls in eine Art Marschkolonne gebracht hatte. Ashby
zog sich den Hut in die Stirn. Auf dem erbeuteten Pferd sah er, wie Bolitho fand, höchst militärisch aus.
»Bajonett pflanzt – auf!« brüllte der Hauptmann. Bolitho wandte sich um und starrte auf die steilen Klippen des Vorgebirges. Von seinem
Weitere Kostenlose Bücher