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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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die Welt gewöhnt«, sagte ich nach kurzem Nachdenken. »Ich habe das Gefühl, daß das hier nicht die wirkliche Welt ist. Die Menschen und die Szenen um mich herum kommen mir nicht real vor.«
    Den Ellbogen auf die Theke gestützt, musterte mich Midori. »So was Ähnliches kommt doch auch in einem Lied von Jim Morrison vor, oder?«
    »People are strange when you are a stranger.«
    »Peace«, sagte Midori.
    »Peace«, erwiderte ich.
    »Es wäre toll, wenn du mit mir nach Uruguay gehen würdest«, sagte Midori, den Ellbogen immer noch auf die Bar gestützt. »Freundin, Familie, Uni – laß alles sausen.«
    Ich lachte. »Gar keine schlechte Idee.«
    »Fändest du es nicht klasse, alles hinter dir abzubrechen und irgendwohin zu gehen, wo dich keiner kennt? Manchmal würde ich das unheimlich gern machen. Wenn du mich also Knall auf Fall irgendwohin mitnehmen würdest, ganz weit weg, würde ich dir eine Menge Babys schenken, stark wie kleine Stiere. Und wir würden uns alle zusammen vor Vergnügen auf dem Boden wälzen und wären immer glücklich.«
    Ich lachte und trank meinen dritten Wodka Tonic aus.
    »Wahrscheinlich willst du im Augenblick noch keine Stier-Babys, oder?«
    »Trotzdem würde es mich interessieren, wie sie wohl aussehen«, entgegnete ich.
    »Macht doch nichts. Du mußt sie nicht wollen.« Midori knabberte an einer Pistazie. »Ich sitze hier, lasse mich am Nachmittag vollaufen und sage, was mir gerade einfällt – daß ich am liebsten mir nichts dir nichts abhauen würde. Was soll ich eigentlich in Uruguay? Da ist ja doch nur alles voller Eselskacke.«
    »Kann schon sein.«
    »Überall nur Eselskacke, wo man auch hingeht. Die ganze Welt ist voll Eselskacke. Hier, die ist zu hart.« Midori hielt mir eine Pistazie hin. Mit einiger Anstrengung kriegte ich sie auf. »Aber letzten Sonntag, das war wirklich eine Ausnahme. Als wir vom Wäschedach aus den Brand beobachtet, getrunken und gesungen haben. Seit langem habe ich mich nicht mehr so befreit gefühlt. Alle setzen mich ständig unter Druck. Kaum sehen sie mich, geht es schon los. Wenigstens du setzt mich nicht unter Druck.«
    »Dazu kenne ich dich noch nicht gut genug.«
    »Heißt das, du würdest mich unter Druck setzen, wenn du mich besser kennen würdest? Wie alle andern?«
    »Möglich wär’s«, sagte ich. »So ist das Leben. In der Realität setzen sich die Menschen unentwegt gegenseitig unter Druck.«
    »Ich glaube, du machst das nicht. Das weiß ich irgendwie. Ich bin nämlich Expertin im Unter-Druck-Setzen und Unter-Druck-Gesetzt-Werden. Du bist nicht der Typ dazu. Deswegen fühle ich mich auch so wohl, wenn ich mit dir zusammen bin. Es gibt massenweise Leute auf der Welt, die gern Druck ausüben oder sich unter Druck setzen lassen. Anschließend machen sie ein großes Geschrei und genießen es so richtig. Aber ich genieße es nicht, ich mache nur mit, weil ich muß.«
    »Womit setzt du denn die Leute unter Druck und sie dich?«
    Midori schob sich ein Stück Eis in den Mund und lutschte daran.
    »Möchtest du mehr über mich erfahren?«
    »Doch, schon.«
    »Ich habe dich gerade gefragt, ob du mehr über mich erfahren möchtest. Was ist denn das für eine Antwort?«
    »Ja, ich möchte mehr über dich erfahren«, verbesserte ich mich.
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich.«
    »Auch wenn du dann am liebsten gleich wieder die Flucht ergreifen würdest?«
    »Ist es denn so schlimm?«
    »In gewisser Hinsicht schon«, sagte Midori mit gerunzelter Stirn. »Ich trinke noch einen.«
    Ich rief den Kellner und bestellte zum vierten Mal das gleiche. Bis die Getränke kamen, saß Midori, stumm das Kinn in die Hand gestützt, an der Theke. Auch ich schwieg und hörte der Musik zu, Honeysuckle Rose von Thelonius Monk. Außer uns saßen noch fünf, sechs Gäste in der Bar, aber wir waren die einzigen, die Alkohol tranken, und der Kaffeeduft verlieh dem halbdunklen Lokal eine nachmittäglich gemütliche Atmosphäre.
    »Hast du nächsten Sonntag Zeit?« fragte Midori.
    »Ich hab dir ja schon gesagt, daß ich sonntags immer Zeit habe. Nur ab sechs muß ich arbeiten.«
    »Wollen wir uns dann nächsten Sonntag treffen?«
    »Gut.«
    »Ich hole dich vormittags im Wohnheim ab, um wieviel Uhr, kann ich aber noch nicht genau sagen. Macht das was?«
    »Nein, kein Problem.«
    »Du, Tōru, weißt du, was ich jetzt gern machen würde?«
    »Keine Ahnung.«
    »Auf einem großen, weichen Bett liegen«, sagte Midori. »Mich ganz gemütlich betrinken, keine Eselskacke in Sicht, du neben

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