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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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sich hin. Tut mir leid, sagte ich, hatte ich vergessen. Was ist passiert, als du gestorben bist? Er schüttelte den Kopf und lächelte. Keine Ahnung, warum du dir die Mühe machst, sagte er. Du änderst ja doch nichts. Wirst einfach weiter so tun, als ob. Dabei solltest du dich nach dem Grund fragen: Fehlt dir die nötige Phantasie oder kannst du nur auf diese Weise den Gedanken der Auslöschung ertragen? Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, warum du das machst, aber du machst es, genau wie alle anderen, tust, als würdest du ewig leben. Seine Augen waren halbgeschlossen, und sein Gesicht leuchtete rot im Kerzenlicht. Er sagte: Aber um dir das zu erzählen, bin ich nicht hergekommen. Ich wartete, während er versuchte, die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf sich zu lenken. Ich bat ihn, mir doch zu sagen, was er sagen wolle, da ich weit gereist sei, um es zu hören. Er schlug auf den Tresen und bestellte einen eiskalten Wodka, dazu ein Bier. Er sagte: Hast du gewusst, dass ich, als ich noch ein Hindu der oberen Kaste war, meine Frau ein oder zweimal im Monat geschlagen habe? Mal mit dem Pantoffel, mal mit der Hand; ich musste ihr beibringen, wie unvermeidlich Gehorsam ist. Ich kannte meine Pflicht, auch wenn sie die nicht kannte. Und wie lautete meine Pflicht, meine schwierige Pflicht, die ich anfangs nur zögerlich erfüllte, wenn auch mit einer gewissen Erregung? Jene zu belehren, die aus dem Bauchnabel des Herrn geboren wurden, aus der Hüfte, dem Schenkel des Herrn, aus tiefer gelegenen Regionen, aus der Scham des Herrn, der unteren Hälfte, seinen Afrikas und Südamerikas, aus jenen unnennbaren Körpergegenden, mit deren bloßer Erwähnung der Sprecher ein großes Risiko auf sich nimmt. Ich versuchte, die Niedriggeborenen zu lehren, dass die Welt mehr zu bieten habe, unendlich viel mehr, als das bisschen, was sie kannten. Ich wollte sie zu leuchten lehren und demütig zu sein, auch durchzuhalten. Ich versuchte, meine Frau zu belehren und die anderen Frauen, die Frauen von niederer Geburt, die ich vorzog, die Fotzen, in die ich meinen weizenfarbigen Penis steckte, weil ich sie lehren wollte und auch weil es mir gefiel. Weißt du, warum ich zu dieser Spelunke gekommen bin? Um dir dies zu sagen, um dir zu sagen, dass ich meine Frau geschlagen habe, mit dem Pantoffel oder mit der flachen Hand. Ich habe sie geschlagen, bis es ihr gefiel. Verstehst du mich? Und jetzt, da ich es dir gesagt habe, darf ich da gehen? Warte noch, sagte ich, warum erzählst du mir das? Ich habe keine Frau. Rumi schaute mich an und lachte. Du verstehst wirklich nicht das Geringste, sagte er. Dann zog er einen Stein aus seinem Cowboystiefel, einen flachen, schwarzen Stein mit einer stumpfen Spitze. Pathar, sagte er. Aber darum geht’s nicht, jedenfalls nicht nur. Dann kippte er den Wodka, trank das Bier aus und verließ die Spelunke, während ich sitzenblieb, wo ich war, bis ich in einem Zug aufwachte, der Indiens Weiten durchquerte.
    •••
    Spät in der Nacht ging ich zur Tür und stemmte sie auf. Ich sah meinen Schatten im gelben Lichtrechteck über die Felder der Morgendämmerung entgegenhuschen. Als der Zug in Kurla hielt, regnete es, und ich war erschöpft vor lauter Schlafmangel. Ich brach meine Regeln, als ich das erste Taxi nahm, das ich sah. Auf dem Highway ließ der Fahrer den Motor laufen, um sich einen Mundvoll Tabak und weiße Paste zu kaufen. Okay, sagte er, welchen Weg wollen Sie nehmen? Den Highway oder quer durch? Es liegt ganz bei Ihnen. Mir ist klar, dass er so meine Kenntnis der Stadt prüfte. Je nachdem, für welche Route ich mich entschied, wusste er, ob ich ein Neuling war (und er mich richtig übers Ohr hauen konnte) oder ein alter Bombay-Hase (und er mich nur ein bisschen übers Ohr hauen konnte). Es war noch früh, aber auf den Straßen drängten sich bereits die Menschen. Spaziergänger waren in ihren hässlichen neuen Schuhen und Jogginganzügen bekannter Marken unterwegs. Männer in grünen Overalls fegten die Straße; in der Nähe stand ein Müllwagen, und mir fiel auf, dass ich nach all den Jahren, in denen ich in Bombay gewohnt hatte, zum ersten Mal einen Müllwagen sah oder Stadtbedienstete in Overalls. Ein Trio von Jain-Nonnen mit Kopfbedeckung und weißem Habit überquerte die Brücke im Gänsemarsch. Jede hielt einen Stab in der Hand und trug ein kleines weißes Bündel. Mit welcher Habe waren diese Bündel gefüllt? Die Schuhe und Masken aus dünner weißer Baumwolle boten keinen Schutz gegen den

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