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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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Namen der Toten aussprechen, leise oder laut, darauf komme es nicht an, aber den vollständigen Namen, denn so gehöre es sich, jeder spreche den vollständigen Namen und erinnere sich; so ehren wir die Toten.
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    Selbst nachdem er die beiden kleinen Zimmer der Pfarrei bezogen hatte, war er eine Zeitlang beinahe jeden Tag im Safer gewesen. Jetzt kam er nur noch dreimal die Woche zu irgendwelchen Sitzungen oder um Haushaltsfragen zu klären, Rechnungen zu bezahlen, Vorräte einzukaufen, Medikamente, Kleider, Leinenzeug und sich um Probleme zu kümmern, sofern welche aufgetreten waren. Er fungierte als eine Art Mittelsmann zwischen Father Fo und dem, der sich gerade um die Tagesgeschäfte kümmerte, zurzeit also Bull. Auf diese Weise stand es ihm frei zu tun, was er tun wollte, was in letzter Zeit nicht eben viel war. Er stand auf der Veranda und redete mit Charlotte, der Köchin, sagte, was er ihr seit Monaten sagte, wiederholte es, als wäre sie ein Kind, was sie definitiv nicht mehr war. Nimm weniger Öl, sagte er. Lass das Essen nicht zu lange köcheln. Garnelen gibt man erst zum Schluss dazu und stellt dann die Flamme aus. Mache es wie die Chinesen, große Hitze, mundgerechte Happen, ein paar Minuten kochen – hörst du überhaupt, was ich sage, Charlotte? In dem Moment kam Bull und fragte, ob er kurz mit ihm reden könne. Sie spazierten über die Veranda, während Charlotte Gemüse schnippelte, Fleisch marinierte und Reis wusch. Es geht um diesen neuen Turkey, sagte Bull. Er ist vorgestern abgehauen, auf dem Weg zu deinem Vortrag, und jetzt ist er zurück und bittet darum, wieder aufgenommen zu werden. Der Typ ist eine harte Nuss, ein Arschloch, gehört zum Knast-Reha-Experiment, sagte Bull, man sollte ihm eine Lektion erteilen. Bull fand, sie sollten ihn schmoren lassen, ihn ein paar Tage auf der Straße lassen, dann käme er bestimmt wie neugeboren wieder. Ansonsten würde er bloß Ärger machen, mehr Ärger jedenfalls, als er wert sei, das könne er, Bull, einfach riechen. Soporo musste plötzlich grinsen. Was wäre, sagte er, wenn ich das über dich gesagt hätte, als du hier zum ersten Mal aufgekreuzt bist? Erinnerst du dich noch, was du für ein Arschloch warst? Weißt du, erwiderte Bull, du kannst nicht jeden retten. Manche Seelen sind jenseits von Gut und Böse. Sie gingen in den dritten Stock, wo Rumi auf der anderen Seite der Gitterpforte wartete. Er döste auf den Eingangsstufen. Sobald er Soporo und Bull hörte, öffnete er die Augen, stand aber nicht auf. Ich möchte dich reinlassen, sagte Soporo, aber man rät mir davon ab. Rumi schaute Soporo direkt ins Gesicht und sagte: Bitte, lassen Sie mich ein. Ich verspreche Ihnen, dass so etwas nie wieder vorkommt. Ich glaube dir kein Wort, widersprach Bull. Nur treffen Sie hier nicht die Entscheidungen, sagte Rumi. Siehst du, wandte sich Bull an Soporo. Siehst du, was ich meine? Dem Kerl ist mit Reha nicht mehr zu helfen; wir vergeuden bloß unsere Zeit. Mr Soporo, sagte Rumi, ich gebe Ihnen mein Wort, Sir. Es wird nicht wieder passieren. Diesmal werde ich Sie nicht enttäuschen. Soporo wies Bull an, die Tür zu öffnen, die unverschlossen war, und Rumi ging ohne ein weiteres Wort nach oben. An diesem Tag sagte er nicht mehr viel. Er aß seine Mahlzeiten, erledigte seine Arbeit und schlief gut. Auch in den nächsten Tagen wirkte er wie verändert, fast, als habe er sich mit dem drogenfreien Leben abgefunden. Später, nachdem die schrecklichen Ereignisse, die folgen sollten, analysiert und darauf noch ein wenig mehr analysiert worden waren, erinnerten die übrigen Patienten sich daran, wie anders er in jenen Tagen gewirkt hatte, wie sehr er sich für alles interessierte, dafür, wie das Center geführt wurde, für dessen Geschichte, aber auch für Soporos persönliche Geschichte. Es sei inspirierend, sagte er, so inspirierend, dass er einfach jede Kleinigkeit über den Mann wissen wolle. Und dann, drei Tage danach, tat er es wieder, verschwand für eine Nacht und einen Tag und kehrte in ebendem Moment zurück, in dem das Abendessen aufgetragen wurde.
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    Bull rief Soporo in der Pfarrei an, um ihm zu sagen, dass Ramesh zurück sei und verlange, wieder eingelassen zu werden, nur diesmal dürften sie es nicht erlauben. Es gäbe Regeln.
Einen
Ausrutscher könne man einem Knastgänger nachsehen, beim zweiten aber sei es ihr gutes Recht, ihn zurück in die Arthur Road zu schicken, nach Yerawada oder Tihar, wohin auch immer er gehörte, denn eines

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