Narkosemord
sagte: »Euer Ehren, gestatten Sie, daß ich an den Richtertisch trete.«
»Wie Sie wünschen«, antwortete der Richter.
Randolph und Davidson gingen zum Richter nach vorn. Randolph war sichtlich erbost. Er begann heiser zu flüstern. Obwohl Jeffrey nur drei Schritte weit entfernt war, konnte er nicht deutlich verstehen, was gesprochen wurde; mehrmals allerdings hörte er das Wort »Unterbrechung«. Schließlich lehnte der Richter sich zurück und sah ihn an.
»Dr. Rhodes«, sagte er, »Ihr Anwalt ist anscheinend der Meinung, daß Sie eine Pause brauchen. Stimmt das?«
»Ich brauche keine Pause«, erwiderte Jeffrey wütend.
Randolph warf frustriert die Hände in die Höhe.
»Gut«, sagte der Richter. »Dann lassen Sie uns die Befragung fortsetzen, Mr. Davidson, damit wir alle noch zu unserem Mittagessen kommen.«
»Also, Doktor«, sagte Davidson, »haben Sie jemals eine Anästhesie unter dem Einfluß von Morphium durchgeführt?«
»Das kann ein- oder zweimal vorgekommen sein«, begann Jeffrey, »aber…«
»Ja oder nein, Doktor?« unterbrach ihn Davidson. »Ein einfaches Ja oder Nein, mehr möchte ich nicht.«
»Einspruch!« rief Randolph. »Der Kollege läßt den Zeugen die Frage nicht beantworten.«
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Davidson. »Es ist eine einfache Frage, und ich möchte eine einfache Antwort. Ja oder nein?«
»Einspruch abgelehnt«, sagte der Richter. »Der Zeuge wird im Kreuzverhör Gelegenheit bekommen, ausführlich Stellung zu nehmen. Bitte beantworten Sie die Frage, Dr. Rhodes!«
»Ja«, sagte Jeffrey. Sein Blut kochte. Am liebsten hätte er Davidson erwürgt.
»Seit Sie in Behandlung waren wegen Ihrer Morphiumsucht…«, begann Davidson und entfernte sich langsam. Er betonte das Wort »Morphiumsucht« und machte danach eine Pause. Vor der Geschworenenbank blieb er stehen und fuhr dann fort: »… haben Sie seitdem noch einmal Morphium genommen?«
»Nein«, erklärte Jeffrey mit Nachdruck.
»Haben Sie an dem Tag Morphium genommen, als Sie der unglücklichen Patty Owens die Anästhesie verabreichten?«
»Nein«, sagte Jeffrey scharf.
»Sind Sie sicher, Dr. Rhodes?«
»Ja!« schrie Jeffrey.
»Keine weiteren Fragen.« Davidson kehrte zu seinem Platz zurück.
Randolph hatte dann im Kreuzverhör getan, was er konnte; er hatte betont, daß das Suchtproblem geringfügig und von kurzer Dauer gewesen war und daß Jeffrey nie mehr als die therapeutische Dosis genommen hatte. Außerdem habe Jeffrey sich freiwillig einer Behandlung unterzogen, seine »Heilung« sei ihm bestätigt worden, und man habe keinerlei Disziplinarmaßnahmen für notwendig erachtet. Aber all diesen Versicherungen zum Trotz hatten Randolph und Jeffrey beide das Gefühl gehabt, daß ihre Sache einen tödlichen Schlag erlitten hatte.
In diesem Augenblick wurde Jeffrey durch einen uniformierten Gerichtsdiener, der in der Tür des Geschworenenzimmers erschien, in die Gegenwart zurückgerissen. Sein Puls schoß in die Höhe. Er glaubte, die Geschworenen würden jetzt kommen. Aber der Gerichtsdiener ging zur Tür des Richterzimmers und verschwand dort. Jeffreys Gedanken wanderten wieder zu dem Prozeß.
Davidson hatte Wort gehalten, was die Bedeutung des Suchtproblems für den vorliegenden Fall betraf, und hatte die Sache in weiteren Zeugenbefragungen noch einmal zur Sprache gebracht, wobei ganz unerwartete Aussagen gemacht worden waren.
Die erste Überraschung kam in Gestalt von Regina Vinson.
Nach den üblichen einleitenden Fragen wollte Davidson von ihr wissen, ob sie Dr. Jeffrey Rhodes an Patty Owens schicksalhaftem Todestag gesehen habe.
»Ja«, sagte Regina und starrte Jeffrey an.
Jeffrey kannte Regina flüchtig als eine der Krankenschwestern der Abendschicht in der OP-Abteilung. Er konnte sich nicht erinnern, sie an dem Tag gesehen zu haben, an dem Patty Owen gestorben war.
»Wo war Dr. Rhodes, als Sie ihn sahen?« fragte Davidson.
»Er war im Anästhesieraum von OP elf«, gab Regina an, ohne den Blick von Jeffrey zu wenden.
Wieder schwante Jeffrey, daß etwas bevorstand, was großen Schaden anrichten würde, aber er konnte sich nicht vorstellen, was es sein mochte. Er erinnerte sich, daß er fast den ganzen Tag in Saal elf gearbeitet hatte. Randolph beugte sich herüber und flüsterte: »Worauf will sie hinaus?«
»Hab’ nicht die leiseste Ahnung«, flüsterte Jeffrey zurück. Er konnte den Blickkontakt mit der Schwester nicht unterbrechen. Was ihn beunruhigte, war der Umstand, daß er bei der Frau
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