Narkosemord
stecknadelkopfgroß waren«, sagte Sheila. »Ich habe es bemerkt, weil er so blaue Augen hat. Tatsächlich konnte man seine Pupillen kaum noch sehen.«
Davidsons nächster Zeuge war ein weltbekannter Augenspezialist aus New York, der eine aufsehenerregende Untersuchung über die Funktionen der Pupille verfaßt hatte. Nachdem er seine eminenten Referenzen vorgetragen hatte, bat Davidson diesen Arzt, dem Gericht mitzuteilen, welche Droge eine so starke Kontraktion der Pupillen hervorrufe - eine Myosis, wie der Mediziner diesen Zustand zu nennen vorzog.
»Meinen Sie systemische Drogen oder Augentropfen?« fragte der Ophthalmologe.
»Ich meine systemische Drogen«, sagte Davidson.
»Das wäre Morphium«, erklärte der Ophthalmologe zuversichtlich, und dann begann er mit einem unverständlichen Kolleg über den Edinger-Westphal-Nukleus, aber Davidson schnitt ihm das Wort ab und überließ den Zeugen seinem Kollegen Randolph.
Im weiteren Verlauf der Verhandlung bemühte Randolph sich, den angerichteten Schaden zu beheben. Er erklärte, Jeffrey habe wegen einer Diarrhöe Paregoricum eingenommen. Da Paregoricum auf Opiumtinktur basiere und da Opium Morphin enthalte, habe das Paregoricum die Verengung der Pupillen bewirkt. Weiterhin führte er aus, Jeffrey habe sich eine Infusion zugeführt, um Grippesymptome zu bekämpfen, die häufig durch Flüssigkeitsverlust verursacht würden. Es war aber unübersehbar, daß die Geschworenen ihm diese Erklärung nicht mehr abkauften - besonders nachdem Davidson einen bekannten und geachteten Internisten in den Zeugenstand treten ließ.
»Erzählen Sie uns, Doktor«, begann Davidson ölig, »ist es üblich, daß Ärzte sich intravenöse Infusionen verabreichen, wie Dr. Rhodes es getan haben soll?«
»Nein«, antwortete der Internist. »Ich habe wohl munkeln hören, daß draufgängerische junge Assistenzärzte in der Chirurgie dergleichen tun, aber selbst wenn solche Gerüchte stimmen, handelt es sich dabei keinesfalls um eine übliche Praxis.«
Der letzte Schlag in der Verhandlung war der Aufruf des Zeugen Marvin Hickleman. Er war einer der OP-Pfleger.
»Mr. Hickleman«, sagte Davidson, »haben Sie den OP nach dem Fall Patty Owen gereinigt?«
»Jawohl«, antwortete Hickleman.
»Ich höre, Sie haben in dem Sondermüllcontainer neben dem Narkoseapparat etwas gefunden. Könnten Sie dem Gericht sagen, was Sie gefunden haben?«
Hickleman räusperte sich. »Ich habe eine leere Ampulle Marcain gefunden.«
»In welcher Konzentration enthielt die Ampulle das Medikament?«
»0,75 Prozent«, sagte der Pfleger.
Jeffrey beugte sich zu Randolph hinüber und flüsterte: »Es waren 0,5 Prozent. Ich bin sicher.«
Als habe er es gehört, fragte Davidson den Zeugen: »Haben Sie auch 0,5-Prozent-Ampullen gefunden?«
»Nein«, antwortete Hickleman. »Keine.«
Im Kreuzverhör versuchte Randolph, Hicklemans Aussage zu erschüttern, aber er machte alles nur noch schlimmer. »Mr. Hickleman, wühlen Sie immer den Müll durch, wenn Sie einen Operationssaal aufräumen, und überprüfen die Konzentration in den diversen Ampullen?«
»Nein!«
»Aber in diesem Fall haben Sie es getan?«
»Ja!«
»Können Sie uns sagen, warum?«
»Die Stationsaufsicht hat mich darum gebeten.«
Den Todesstoß gab ihm Dr. Leonard Simon aus New York, ein angesehener Anästhesist, den Jeffrey kannte. Davidson kam gleich zur Sache.
»Dr. Simon, ist die Verwendung von 0,75prozentigem Marcain für die Epiduralanästhesie bei einer Entbindung angezeigt?«
»Keinesfalls«, antwortete Dr. Simon. »Sie ist im Gegenteil kontraindiziert. Die Warnung steht auch unübersehbar auf dem Beipackzettel und in der Roten Liste. Jeder Anästhesist weiß das aber.«
»Können Sie uns sagen, worauf diese Kontraindikation bei der Entbindung beruht?«
»Es sind gelegentlich schwerwiegende Reaktionen aufgetreten.«
»Was für Reaktionen, Dr. Simon?«
»Toxizität für das Zentralnervensystem…«
»Bedeutet das Krampfanfälle, Dr. Simon?«
»Ja, es ist vorgekommen, daß Anfälle hervorgerufen wurden.«
»Was noch?«
»Herztoxizität…«
»Das heißt…?«
»Arrhythmia und zeitweiser Herzstillstand…«
»Und solche Reaktionen waren auch schon tödlich?«
»So ist es«, sagte Dr. Simon und hämmerte damit den letzten Nagel in Jeffreys Sarg.
Das Resultat war gewesen, daß Jeffrey und nur Jeffrey eines Kunstfehlers für schuldig befunden wurde. Simarian, Overstreet, die Klinik und der Pharmahersteller waren freigesprochen
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