Narkosemord
sie nach Westen, nach Los Angeles. Mit dem Gedanken, nach Kalifornien zu ziehen, hätte er sich abfinden können, aber das Thema Familie bereitete ihm Schwierigkeiten. Im Laufe der Jahre war sein Kinderwunsch immer größer geworden. Es betrübte ihn zu sehen, daß Carols Wünsche und Hoffnungen sich in eine völlig andere Richtung bewegten, aber er merkte, daß er es ihr nicht zum Vorwurf machen konnte. Zunächst hatte er sich gegen die Scheidung gewehrt, aber schließlich hatte er doch nachgegeben. Irgendwie waren sie einfach nicht füreinander bestimmt. Als aber dann die gerichtlichen Probleme aufgetaucht waren, hatte Carol sich liebenswürdigerweise erboten, den Ehestreit auszusetzen, bis der Prozeß beendet war.
Jeffrey seufzte wieder, lauter als zuvor. Randolph warf ihm einen mißbilligenden Blick zu, aber Jeffrey konnte sich nicht vorstellen, daß es in diesem Moment noch auf den äußeren Anschein ankam. Wenn er daran dachte, wie die Ereignisse sich abgespielt hatten, wurde ihm schwindlig. Es war alles so schnell gegangen. Nach Patty Owens katastrophalem Tod war binnen kürzester Frist die Kunstfehlerklage eingereicht worden. Angesichts des herrschenden Klimas ständiger Schadenersatzklagen hatte das Jeffrey nicht überrascht, allenfalls das Tempo.
Von Anfang an hatte Randolph ihn gewarnt; der Fall werde sich als harte Nuß erweisen. Wie hart, das hatte Jeffrey nicht geahnt. Gleich danach hatte das Boston Memorial ihn vom Dienst suspendiert. Im ersten Augenblick war ihm das willkürlich und bösartig erschienen. Es war jedenfalls nicht die Art von Unterstützung und Vertrauensvotum, die er sich erhofft hatte. Weder Jeffrey noch Randolph hatten eine Erklärung für die Überlegungen, die dieser Suspendierung zugrunde lagen. Jeffrey hatte wegen dieser ungerechtfertigten Verfügung gegen das Boston Memorial klagen wollen, aber Randolph hatte ihm geraten, abzuwarten. Diese Angelegenheit, meinte er, werde sich besser regeln lassen, wenn der Kunstfehlerprozeß abgeschlossen sei.
Aber die Suspendierung war nur ein Vorbote schlimmerer Ereignisse gewesen. Der Anwalt, der die Kunstfehlerklage eingereicht hatte, war ein aggressiver junger Bursche namens Matthew Davidson aus einer auf Schadenersatzklagen spezialisierten Kanzlei in St. Louis, der auch einer kleinen, allgemeinen Anwaltsfirma in Massachusetts angehörte. Er hatte sie alle verklagt: Jeffrey, Simarian, Overstreet, die Klinik und sogar Arolen Pharmaceuticals, den Hersteller des Marcain. Jeffrey war noch nie wegen eines Kunstfehlers zur Rechenschaft gezogen worden. Randolph hatte ihm erklären müssen, daß dies das sogenannte Schrotflinten-Verfahren war: Die Anwälte verklagten jeden, der Geld hatte, ob nun Hinweise auf eine unmittelbare Beteiligung an dem angeblichen Kunstfehler vorlagen oder nicht.
Einer unter vielen zu sein, war anfänglich ein Trost für Jeffrey gewesen, aber nicht lange. Es war bald klar, daß er allein übrigbleiben würde. Er erinnerte sich an die Wende, als wäre sie gestern geschehen. Es war während seiner eigenen Aussage im Anfangsstadium des ersten Verfahrens gewesen. Er war als erster Beklagter in den Zeugenstand getreten. Davidson hatte einige oberflächliche Fragen zum Hintergrund gestellt und dann unversehens hart zugeschlagen.
»Doktor«, hatte er gesagt, und dabei hatte er Jeffrey sein schmales, gutaussehendes Gesicht zugewandt und dem Titel einen verächtlichen Klang gegeben. Er war dicht an den Zeugenstand herangetreten, so daß sein Gesicht nur noch wenige Handbreit von Jeffrey entfernt war. Er trug einen makellos geschnittenen, dunklen Nadelstreifenanzug, ein lavendelfarbenes Hemd, eine dunkelviolette Paisley-Krawatte und roch nach einem teuren Eau de Cologne. »Waren Sie schon einmal drogensüchtig?«
»Einspruch!« rief Randolph und stand auf.
Jeffrey hatte das Gefühl gehabt, eine Szene in einem Drama zu verfolgen, nicht ein Kapitel seines eigenen Lebens. Randolph begründete seinen Einspruch. »Diese Frage ist ohne Belang für den zur Verhandlung stehenden Fall. Die Vertretung der Anklage versucht, meinen Mandanten in ein zweifelhaftes Licht zu rücken.«
»Ganz und gar nicht«, konterte Davidson. »Meine Frage ist von erheblicher Bedeutung, wie die Aussagen nachfolgender Zeugen deutlich machen werden.«
Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen im vollbesetzten Gerichtssaal. Starke Publicity hatte den Fall berüchtigt gemacht. Die Leute standen bis hinten an die Wand.
Der Richter war ein untersetzter
Weitere Kostenlose Bücher