Narkosemord
worden. Die Geschworenen sprachen Patty Owens Erben einen Schadenersatz in Höhe von elf Millionen Dollar zu, zwei Millionen mehr, als durch Jeffreys Kunstfehlerversicherung abgedeckt waren.
Nach der Verhandlung zeigte Davidson sich offen enttäuscht darüber, daß er so gute Arbeit geleistet und Jeffrey vernichtet hatte. Die übrigen Beklagten und ihre finanziellen Mittel waren dadurch unangetastet geblieben, und so bestand kaum eine Chance, mehr als das zu kassieren, was Jeffreys Versicherung erbrachte, selbst wenn Jeffreys Einkommen für den Rest seines Lebens gepfändet würde.
Für Jeffrey aber war das Resultat verheerend, in persönlicher ebenso wie in beruflicher Hinsicht. Seine ganze Selbsteinschätzung und sein Selbstwertgefühl basierten auf seinem beruflichen Engagement, seiner Hingabe und Aufopferungsbereitschaft. Der Prozeß und der Spruch der Geschworenen hatten das alles vernichtet. Er zweifelte an sich selbst. Vielleicht hatte er versehentlich 0,75prozentiges Marcain verwendet…
Jeffrey hätte Depressionen bekommen können, aber dazu ließ man ihm keine Zeit. Angesichts der ausführlichen Berichterstattung über die »Operation unter Drogeneinfluß« und der heftigen Anti-Drogen-Bewegung der jüngsten Zeit fühlte der Bezirksstaatsanwalt sich genötigt, Strafantrag zu stellen. Völlig fassungslos sah Jeffrey sich unverhofft mit einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung konfrontiert. Und jetzt erwartete er das Urteil der Geschworenen.
Jeffrey wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Gerichtsdiener aus dem Richterzimmer kam und im Geschworenenzimmer verschwand. Warum zogen sie es so lange hin? Für Jeffrey war es eine Folter. Ihn plagte ein allzu reales Déjà-vu-Gefühl, denn das viertägige Strafverfahren war nicht sehr viel anders verlaufen als zuvor der Zivilprozeß. Nur war der Einsatz diesmal höher.
Geld zu verlieren, das er nicht einmal hatte, war eine Sache. Das Gespenst der Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Gefängnisstrafe - das war etwas völlig anderes. Jeffrey glaubte nicht, daß er ein Leben hinter Gittern aushalten würde. Ob dies auf rationale Ängste oder auf eine irrationale Phobie zurückzuführen war, wußte er nicht. Aber dessenungeachtet hatte er zu Carol gesagt, lieber werde er den Rest seines Lebens im Ausland verbringen, als ins Gefängnis zu gehen.
Jeffrey schaute zum leeren Richtertisch hinauf. Zwei Tage zuvor hatte die Richterin die Geschworenen ermahnt, ehe sie sich zur Beratung zurückgezogen hatten. Ihre Worte hallten in seiner Erinnerung wider und gaben seiner Angst neue Nahrung.
»Meine Damen und Herren Geschworenen«, hatte Richterin Janice Maloney gesagt, »bevor Sie den Angeklagten Dr. Jeffrey Rhodes der fahrlässigen Tötung für schuldig befinden, muß das Commonwealth of Massachusetts über allen vernünftigen Zweifel hinaus bewiesen haben, daß Patty Owens Tod durch eine Handlung des Angeklagten verursacht wurde, die für einen anderen Menschen unmittelbar bedrohlich war und einen sittenlosen Geist erkennen läßt. Eine Handlung ist dann ›unmittelbar bedrohlich und läßt einen sittenlosen Geist erkennen‹, wenn eine Person mit gewöhnlicher Urteilskraft wissen muß, daß durch sie eine andere Person getötet werden oder körperlich schwer zu Schaden kommen kann. Eine solche Handlung ist es auch dann, wenn sie Böswilligkeit, Haß oder verderblicher Absicht entspringt.«
Jeffrey hatte den Eindruck, daß der Ausgang dieses Prozesses davon abhing, ob die Geschworenen glaubten, daß er Morphium genommen habe, oder nicht. Wenn sie es glaubten, würden sie zu dem Schluß kommen, er habe mit verderblicher Absicht gehandelt. Zumindest würde er selbst als Geschworener zu einem solchen Schluß kommen. Schließlich war eine Anästhesie immer unmittelbar bedrohlich. Von einem verbrecherischen Angriff unterschied sie sich nur durch die Zustimmung des informierten Patienten.
Aber was Jeffrey bei den Worten der Richterin als am meisten bedrohlich empfunden hatte, waren ihre Anmerkungen zur Strafe gewesen. Die Richterin hatte die Geschworenen daran erinnert, daß auch ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung eine Verurteilung von mindestens drei Jahren Gefängnis zur Folge hätte.
Drei Jahre! Jeffrey begann zu schwitzen, und gleichzeitig war ihm kalt. Er strich sich über die Stirn, und seine Finger waren feucht.
»Erheben Sie sich!« rief der Gerichtsdiener, der gerade aus dem Geschworenenzimmer gekommen war, und trat beiseite. Alle im
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