Narkosemord
Schwarzer namens Wilson. Er schob jetzt seine dicke, schwarzgeränderte Brille auf dem Nasenrücken nach oben. Schließlich räusperte er sich.
»Wenn Sie mich zum Narren halten wollen, Mr. Davidson, bringen Sie sich in Teufels Küche.«
»Ich würde mir keineswegs anmaßen, Sie zum Narren zu halten, Euer Ehren.«
»Einspruch abgelehnt«, erklärte Richter Wilson, und er nickte Davidson zu. »Fahren Sie fort!«
»Danke.« Davidson wandte sich wieder an Jeffrey. »Möchten Sie, daß ich die Frage wiederhole, Doktor?«
»Nein«, sagte Jeffrey. Er hatte die Frage noch gut genug in Erinnerung. Er schaute zu Randolph hinüber, aber dieser schrieb geschäftig etwas auf seinen gelben Kanzleiblock. Jeffrey erwiderte Davidsons unverwandten Blick. Er ahnte, daß Schwierigkeiten bevorstanden. »Ja, ich hatte einmal ein leichtes Drogenproblem«, antwortete er mit gedämpfter Stimme. Es war ein altes Geheimnis, und er hatte nie gedacht, daß es noch einmal ans Licht kam, schon gar nicht in einem Gericht. Erst kürzlich war er daran erinnert worden, als er die erforderlichen Formulare für die Erneuerung seiner Zulassung in Massachusetts hatte ausfüllen müssen. Aber er hatte diese Informationen für vertraulich gehalten.
»Würden Sie den Geschworenen bitte sagen, von welcher Droge Sie abhängig waren?« Davidson trat einen Schritt zurück, als sei es ihm zuwider, länger als nötig in seiner Nähe sein zu müssen.
»Morphium«, antwortete Jeffrey beinahe trotzig. »Das ist fünf Jahre her. Ich hatte nach einem schweren Fahrradunfall Probleme mit dem Rücken.«
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Randolph sich die rechte Braue kratzte. Das war eine zuvor vereinbarte Geste, mit der er Jeffrey signalisierte, er solle sich auf die Beantwortung der gestellten Frage beschränken und nicht von sich aus weitere Informationen abgeben. Aber Jeffrey ignorierte ihn diesmal. Es ärgerte ihn, daß man dieses irrelevante Detail aus seiner Vergangenheit jetzt hervorzerrte. Er verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu erklären und zu rechtfertigen. Nicht einmal, wenn man seine Phantasie strapazierte, konnte man ihn als Drogenabhängigen beschreiben.
»Wie lange waren Sie süchtig?« fragte Davidson.
»Weniger als einen Monat«, fauchte Jeffrey. »Es war eine Situation, in der Notwendigkeit und Verlangen auf unmerkliche Weise verschmolzen waren.«
»Ich verstehe«, sagte Davidson und hob die Brauen in einer dramatischen Geste des Verständnisses. »So haben Sie sich die Sache erklärt?«
»So hat sie der Entzugshelfer mir erklärt«, schoß Jeffrey zurück. Er sah, daß Randolph sich heftig kratzte, aber er ignorierte es weiterhin. »Der Fahrradunfall ereignete sich zu einem Zeitpunkt starker familiärer Belastung. Das Morphium wurde mir von einem Orthopäden verschrieben. Ich habe mir eingeredet, es länger zu brauchen, als es tatsächlich der Fall war. Aber binnen weniger Wochen wurde mir klar, was da im Gange war, und ich ließ mich in der Klinik krank schreiben und begab mich freiwillig in Behandlung. Und in eine Eheberatung, wenn ich das hinzufügen darf.«
»Haben Sie in den Wochen eine Anästhesie durchgeführt, während Sie…« Davidson machte eine Pause, als müsse er sich überlegen, wie er seine Frage formulieren sollte. »… während Sie unter dem Einfluß von Drogen standen?«
»Einspruch!« rief Randolph. »Diese Fragestellung ist absurd! Das grenzt an üble Nachrede!«
Der Richter senkte den Kopf und spähte über den Rand seiner Brille hinweg, die ihm wieder heruntergerutscht war. »Mr. Davidson«, sagte er väterlich. »Wir sind wieder beim selben Thema. Ich hoffe, Sie haben einen zwingenden Grund für diesen scheinbaren Exkurs.«
»Durchaus, Euer Ehren«, erwiderte Davidson. »Wir haben die Absicht, zu zeigen, daß diese Aussage von unmittelbarer Bedeutung für den hier verhandelten Fall ist.«
»Einspruch abgelehnt«, entschied der Richter. »Fahren Sie fort!«
Davidson wandte sich erneut an Jeffrey und wiederholte seine Frage. Die Worte »unter dem Einfluß von Drogen« bereiteten ihm sichtlichen Genuß.
Jeffrey funkelte den Anwalt wütend an. Die einzige Sache in seinem Leben, deren er sich absolut sicher war, war sein Gefühl für professionelle Verantwortung, Kompetenz und Tüchtigkeit. Daß dieser Mann etwas anderes andeutete, machte ihn rasend vor Zorn. »Ich habe niemals einen Patienten in Gefahr gebracht«, zischte er.
»Das war nicht meine Frage«, entgegnete Davidson.
Randolph stand auf und
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