Narr
Blitzlichtgewitter entlud sich über Georg Sina und Paul Wagner. Ebner zerknüllte das Papier und warf es achtlos auf den Boden, drehte sich um und verließ den Saal. Die Objektive der Fernsehkameras folgten dem Staatsoberhaupt, bis die Tür hinter ihm zufiel.
Ein furchtbares Kreischen entfuhr Wegscheiders Mund. Mit weit aufgerissenen Augen stürzte er sich auf Sina und begann, mit beiden Fäusten auf ihn einzuschlagen. Wagner packte zu und versuchte, den Rasenden von seinem Freund zu trennen. Aber der Ellenbogen des Ministers traf ihn so hart im Gesicht, dass er nach hinten geschleudert wurde und aufs Parkett stürzte. Paul spürte, wie Sturzbäche warmen Blutes aus seiner gebrochenen Nase strömten.
»Tut endlich jemand etwas?«, brüllte er, während Wegscheider und Sina ineinander verkeilt über den Boden rollten.
Beide waren schnell wieder auf den Beinen. Sina konnte Wegscheider auf Distanz halten und einen Haken anbringen, der den Minister durchschüttelte. Doch ehe er es sich versah, rammte ihm der Finanzminister den Kopf in den Bauch und hob ihn aus. Georg stürzte so hart, dass ihm die Luft wegblieb. Im nächsten Augenblick war Wegscheider schon über ihm und legte die Finger wie einen Schraubstock um den Hals des Wissenschaftlers. Er drückte mit einer Kraft zu, die ihm Sina nicht zugetraut hätte. Die Welt um ihn herum verlangsamte sich, ein sirrendes Geräusch erklang in seinen Ohren und Georg versuchte verzweifelt einzuatmen. Allein, es ging nicht. Rote Nebel begannen vor seinen Augen zu tanzen und er packte die Daumen Wegscheiders und drückte sie mit aller Kraft zurück. Sina starrte direkt in die gefletschten Zähne des Berserkers. Mit einem dumpfen Krachen brachen beide Daumen, aber Wegscheider ließ nicht locker. Mit wahnsinnigem Blick beobachtete er, wie Georg mehr und mehr die Luft wegblieb.
»Erkennst du mich, ich bin der Gott deines Todes, Sina!«, zischte er dicht an Georgs Ohr. Die Schläge und Tritte Wagners schien er nicht zu spüren. Im Gegenteil, er begann eine bekannte Melodie Haydns zu summen.
Da erschien ein breiter, oranger Streifen über Wegscheiders Augen, begleitet von einem mechanischen Zischen. Er schrie auf wie ein verletztes Tier, ließ Sinas Hals los und schlug die Hände vors Gesicht. Der Security-Mann aus der Leibwache des Bundespräsidenten steckte den Pfefferspray zurück an seinen Gürtel und trat unerbittlich zu. Seine Schuhspitze traf den ehemaligen Vizekanzler genau am Brustbein. Wegscheider sog alle Luft ein, die seine Lungen noch fassen konnten, aber die Kraft verließ ihn augenblicklich. Von der Wucht eines weiteren Trittes getroffen, stürzte er nach hinten. Blitzschnell ergriffen ihn zwei weitere Leibwächter an den Armen und legten ihm Hand- und Fußfesseln an.
Paul Wagner kniete neben Sina und stützte seinen Kopf. Er beobachtete, wie Manfred Wegscheider aus dem Raum geschleift wurde, sah in die entsetzten Gesichter der Journalisten und die betretenen Mienen der Mitglieder des Kabinetts.
»Der Kerl hat so ein Schwein gehabt«, röchelte Georg mit blitzenden Augen, »ich hätte ihn vor laufenden Kameras umgebracht. Für Irina.«
Da flogen die Tore auf und eine Flut von blauen Uniformen strömte in den Saal, an ihrer Spitze Polizeipräsident Dr. Sina.
Epilog I
G eorg Sina lag auf einer bequem gepolsterten Sitzbank im Büro des Bundespräsidenten in der Hofburg und ein Sanitäter nähte mit präzisen Nadelstichen sein Cut über der Augenbraue. Der Vereisungsspray wirkte Wunder und so spürte der Wissenschaftler kaum etwas von dem medizinischen Eingriff an seiner Stirn, doch jeder einzelne Knochen und Muskel vom Hals abwärts schien sich zu Wort zu melden und mittels Schmerzen sein Fortleben verkünden zu wollen. Der Verband schnürte Sina den Brustkorb zusammen, aber so blieben wenigstens die gebrochenen Rippen an Ort und Stelle.
Ich hätte mir nie im Traum einfallen lassen, einmal ein frisches Hemd des österreichischen Bundespräsidenten zu tragen, dachte Georg und musste schmunzeln. Die Ärmel waren eine Spur zu kurz und in Ermangelung der passenden Knöpfe flatterten die gestärkten, weißen Manschetten lose um die Handgelenke.
Paul Wagner stand, die Hände in die Hüften gestützt, vor den beiden großformatigen Ölbildern und betrachtete sie gedankenverloren. Ein weißes Tape hielt sein Nasenbein am Platz und das Atmen fiel ihm noch etwas schwer. Aber von diesem kleinen Handicap ließ sich der Reporter nicht ablenken. Er war mittlerweile so
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