Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Tugend nennen, Gespräche von Fremden unter dem Vorwand der Unkenntnis der Sprache zu belauschen«, gab Scharley zu bedenken.
    »Das stimmt.« Samson neigte leicht den Kopf. »Und ich gebe zu, das ist meine Schuld. Und um meine Schuld nicht noch zu vergrößern, sage ich gleich, dass es euch auch keinen Schutz bedeutet, wenn ihr zur Sprache der Franzosen überwechselt. Ich spreche Französisch.«
    »Ach?« Scharleys Stimme war eiskalt. »
Est-ce vrai?
Tatsächlich?«
    »In der Tat.
On le dit, et c’est la verité.
«
    Eine Zeit lang herrschte Stille. Endlich räusperte sich Scharley laut.
    »Die Sprache der Engländer ist dir vermutlich genauso geläufig?«, vermutete er.
    »Ywis«,
antwortete der Riese, ohne zu stottern. »
Herkneth, that is the point, to speken short and plain. That ye han said is right enough. Namore of this,
es genügt. Wenn ich auch redete mit Menschen- und Engelszungen, so wäre ich nur eine klingende Schelle. Anstatt mich hier meiner Eloquenz zu rühmen, lasst uns lieber zur Sache kommen, denn die Zeit drängt. Ich bin nicht aus Spaß eurer Spur gefolgt, sondern aus zwingender Notwendigkeit.«
    »Tatsächlich? Und worauf beruht, wenn man fragen darf, jene
dira necessitas?
«
    »Schaut mich doch einmal ganz genau an, und dann antwortet, Hand aufs Herz: Würdet ihr so aussehen wollen?«
    »Keinesfalls«, gab Scharley mit entwaffnender Ehrlichkeit zu. »Aber du wendest dich mit deinen Vorwürfen an die falsche Adresse, Gevatter. Dein Aussehen verdankst du unmittelbar deinem Vater und deiner Mutter. Mittelbar dem Schöpfer, obwohl vieles dagegen spricht.«
    »Mein Aussehen«, Samson ignorierte den Spott, »verdanke ich euch. Euren idiotischen Exorzitien. Ihr habt da was angerichtet, Jungs, und das nicht zu knapp. Es wird Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und zu überlegen, wie ihr das rückgängig macht, was ihr angerichtet habt. Es wäre nur rechtens, darüber nachzudenken und es an dem wieder gutzumachen, den ihr in eine solche Lage gebracht habt.«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du redest«, stellte Scharley verwundert fest. »Du sprichst, mein Freund, mit zahlreichen Menschen- und Engelszungen, aber unverständlich in allen. Ich wiederhole: Ich weiß nicht, worum es dir geht. Ich schwöre bei allem, was mir lieb ist, das heißt: bei meinem alten Pimmel.
Je jure ça sur mes couilles.
«
    »So viel Beredsamkeit, solch eine Suada«, meinte der Riese,»aber nicht für einen Groschen Verstand. Begreifst du wirklich nicht, was bei euren verdammten Beschwörungen geschehen ist?«
    »Ich . . .«, presste Reynevan mühsam hervor, »ich verstehe . . . Während der Exorzitien . . . ist etwas geschehen.«
    »Na bitte«, der Riese musterte ihn von oben bis unten, »wie sehr doch Jugend und Universitätsstudien triumphieren, wenn man wissenschaftliche Reden schwingt, vermutlich Prag. Ja, ja, junger Freund, bei Gesängen und Beschwörungen können sich auch Nebeneffekte einstellen. Die Schrift sagt: Das Gebet eines Demütigen durchbricht die Wolken. Es hat sie durchbrochen.«
    »Unsere Exorzitien . . .«, flüsterte Reynevan. »Ich habe es gespürt. Ich habe einen plötzlichen Strom von Macht gespürt. Aber ist denn das möglich, dass . . . Ist denn das möglich . . .«
    »Certe.«
    »Sei nicht kindisch, Reinmar, lass dich nicht täuschen, riet ihm Scharley ruhig. Lass dich nicht von ihm einwickeln. Er macht sich über uns lustig. Er spielt den zufällig durch die Kraft unserer Exorzitien befreiten Teufel. Den Dämon, den man aus der Unterwelt herbeigerufen und in die körperliche Hülle von Samson Honigfresser, dem Klosteridioten, gesteckt hat. Er spielt den Eingeschlossenen, den unsere Beschwörungen befreit haben, den Dschinn, der aus der Flasche gekrochen ist. Hab’ ich etwas vergessen, du Ankömmling? Was bist du? Wer bist du? Der von Avalon zurückkehrende König Artus? Ogier, der Däne? Barbarossa aus dem Kyffhäuser? Der ewige Jude?«
    »Warum hast du aufgehört?« Samson kreuzte seine gewaltigen Arme über der Brust. »Du in deiner unermesslichen Weisheit, weißt wohl, wer ich bin.«
    »Certe.«
Scharley zahlte es ihm heim, indem er den gleichen Akzent gebrauchte. »Ich weiß es. Aber du, Brüderchen, bist zu unserem Biwak gekommen, und nicht umgekehrt. Daher steht es dir zu, dich vorzustellen. Und nicht zu warten, bis man dich entlarvt.«
    »Scharley«, wandte Reynevan mahnend ein, »er sagt wohldie Wahrheit. Wir haben ihn mit Hilfe unserer Exorzismen herbeigerufen. Warum

Weitere Kostenlose Bücher