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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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der Brust der Dummen. Merke dir:
melior est canis vivus leone mortuo,
besser ein lebendiger Hund als ein toter Löwe.«
    »Was soll das heißen?«
    »Wenn du deine dummen Rachepläne nicht verwirfst, wirst du bald tot sein. Und mich stecken sie sicher wieder ins Gefängnis, wenn sie mich nicht töten. Und diesmal nicht zu den Karmelitern und nicht nur auf Zeit, sondern ins Loch,
ad carcerem perpetuum.
Oder, was ihnen eine Gnade dünkt, für lange Jahre ins Kloster
in pace
. Weißt du, was das bedeutet,
in pace,
Reinmar? Das heißt lebendig begraben. Im Keller, in einer engen Zelle, so niedrig, dass man nur sitzen kann, und je höher die eigenen Exkremente ansteigen, desto tiefer muss man sich bücken, um nicht im Dunkeln an die Decke zu stoßen. Du hast wohl den Verstand verloren, wenn du denkst, dass ich das für dich und deine Angelegenheit riskiere. Eine verworrene Angelegenheit, um nicht zu sagen, eine Sache, die stinkt.«
    »Was ist für dich eine Sache, die stinkt?«, fragte ihn Reynevan entrüstet. »Der tragische Tod meines Bruders?«
    »Die Umstände, die dazu geführt haben.«
    Reynevan biss sich auf die Unterlippe und wandte sich ab. Eine Weile betrachtete er den Riesen Samson, der auf seinem Baumstumpf saß. Er sieht irgendwie anders aus, dachte er. Er sieht zwar immer noch aus wie ein Kretin, doch irgendwas in ihm hat sich verändert. Aber was?
    »An den Umständen von Peterlins Tod gibt es nichts zu deuteln«, sagte er dann. »Kyrieleison hat ihn umgebracht. Kunz Aulock
et complices. In subordinatione
und für Geld von den Sterz’. Die Sterz’ sollten dafür bestraft . . .«
    »Hast du nicht gehört«, unterbrach ihn Scharley, »was Dzierżka, deine Verwandte, gesagt hat?«
    »Ich habe es gehört. Aber ich habe dem keine Bedeutung beigemessen.«
    Scharley zog aus der Satteltasche eine tönerne Flasche hervor und entkorkte sie, der Duft von Obstbrand breitete sich aus. Die Flasche hatte sich mit Sicherheit nicht unter den Abschiedsgaben der Benediktiner befunden, Reynevan hatte keine Ahnung, wie und wann der Demerit in ihren Besitz gelangt war. Aber er vermutete das Schlimmste.
    »Das ist ein großer Fehler.« Scharley tat einen Zug aus der Flasche und reichte sie Reynevan. »Es ist ein Fehler, nicht auf Dzierżka zu hören, denn sie weiß immer, was sie sagt. Die Umstände beim Tode deines Bruders sind ganz und gar nicht geklärt, Junge. Zumindest nicht so weit, um sofort blutige Rache zu üben. Du hast überhaupt keine Beweise für die Schuld der Sterz’.
Tandem
hast du keinerlei Beweise für die Schuld von Kyrieleison. Ja,
in hoc casu
fehlt es sogar an Spuren und Motiven.«
    »Was . . .«, Reynevan verschluckte sich am Obstbrand, »was schwatzt du denn da? Aulock und seine Bande sind in der Umgebung von Balbinow gesehen worden.«
    »Als Beweis
non sufficit.
«
    »Sie hatten ein Motiv.«
    »Welches? Ich habe mir deinen Bericht aufmerksam angehört, Reinmar. Kyrieleison haben die Sterz’ angeheuert, die Schwäger deiner Angebeteten. Damit sie dich lebend fangen. Unbedingt lebend. Die Ereignisse in jener Schenke in Brieg haben das eindeutig bewiesen. Kunz Aulock, Stork und de Barby sind Profis, die nur das tun, wofür sie bezahlt werden. Man hat sie bezahlt, dich zu fangen, nicht deinen Bruder. Wozu sollten sie unterwegs eine Leiche zurücklassen? So ein
cadaver
mitten im Wege ist für Profis gefährlich: Es drohen Verfolgung, das Recht, Rache . . . Nein, Reinmar. Darin steckt kein bisschen Logik.«
    »Wer also hat Peterlin deiner Meinung nach ermordet? Wer?
Cui bono?
«
    »Eben. Es wäre gar nicht schlecht, darüber nachzudenken. Du musst mir mehr von deinem Bruder erzählen. Auf dem Weg nach Ungarn, versteht sich. Über Schweidnitz, Frankenstein, Neisse und Troppau.«
    »Du hast Münsterberg vergessen.«
    »Tatsache. Aber du hast es nicht vergessen. Und vergisst es auch nicht, fürchte ich. Ich bin neugierig, wann er es bemerkt.«
    »Wer? Was?«
    »Samson Honig von den Benediktinern. In dem Baumstrunk, auf dem er sitzt, ist ein Hornissennest.«
    Der Riese sprang auf. Und setzte sich wieder hin, als er merkte, dass er in eine Falle gegangen war.
    »Das habe ich vermutet.« Scharley lächelte breit. »Du verstehst Latein, Brüderchen.«
    Zu Reynevans großer Verwunderung erwiderte der Riese das Lächeln.
    »Mea culpa«,
antwortete er mit einem Akzent, der eines Cicero würdig gewesen wäre. »Aber das ist doch keine Sünde. Und selbst wenn, wer
sine peccato est?
«
    »Ich würde es nicht gerade eine

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