Narrenturm - Roman
Salz oder Speisen verkaufen. Und bei uns inSchlesien? Die stolzen Kaufherren spotten über diese Verbote. Sie sagen, Verdienen ist die Grundlage, wenn sie verdienen können, tun sie’s auch mit dem Teufel. Wollt Ihr Namen? Hier sind sie: Thomas Gernrode aus Neisse, Nikolai Neumarkt aus Schweidnitz, Hanusz Throst aus Ratibor. Jener Throst, sag’ ich, hat auch noch die Priester verflucht, dass sie sittenlos sind, Zeugen gibt es dafür viele, denn dies hat sich in Breslau ereignet, in der Schenke ›Zum Mohrenkopf‹ am Salzplatz,
vicesima prima Iulii,
in den Abendstunden. Ah, das hätt’ ich fast vergessen, mit den Böhmen handelt auch ein gewisser Fabian Pfefferkorn aus Falkenberg . . . Aber der lebt vielleicht nicht mehr . . .«
». . . man erzählt sich: Urban Horn. Den kennt man, ein Unruhestifter, ein Aufwiegler, ein Ketzer und Umgetaufter. Ein Waldenser! Ein Begarde! Seine Mutter war eine Begine, die haben sie in Schweidnitz verbrannt, vorher, unter der Folter, hat sie sich zu scheußlichen Praktiken bekannt. Sie hieß Roth, Margarethe Roth. Diesen Horn alias Roth habe ich in Strehlen mit eigenen Augen gesehen. Zur Rebellion hat er aufgerufen, den Papst hat er verspottet. Mit ihm zog dieser Reinmar von Bielau, der Neffe von Otto Beess, Kanonikus an St. Johannes dem Täufer. Da ist einer so viel wert wie der andere, lauter Umtäufer und Häretiker . . .«
Es dämmerte schon, als der letzte Kunde die St.-Matthias-Kirche verließ. Der Mauerläufer kam aus dem Beichtstuhl, streckte sich und übergab dem bärtigen Kreuzritter mit dem Stern die beschriebenen Karten.
»Ist Prior Debeneck noch nicht wieder gesund?«, fragte er.
»Er ist noch nicht wieder gesund«, antwortete der Spitalbruder. »Die Krankheit hält ihn immer noch danieder. Inquisitor
a Sede Apostolica
ist also momentan Gregor Hejncze. Auch ein Dominikaner.«
Der Spitalbruder verzog das Gesicht, als habe er etwas Bitteresgegessen. Der Mauerläufer bemerkte es. Und der Spitalbruder begriff, dass der Mauerläufer es bemerkt hatte.
»Ein junger Mensch, dieser Hejncze«, erklärte er nach einigem Zögern. »Ein Formalitätenreiter. Für alles verlangt er Beweise, viel zu selten ordnet er die Folter an. Andauernd befindet er einen Verdächtigen für nicht schuldig und lässt ihn laufen. Er ist zu weich.«
»Ich habe die Brandnarben der Scheiterhaufen auf dem Damm bei St. Adalbert gesehen.«
»Alles in allem nur zwei Stöße.« Der Spitalbruder zuckte die Achseln. »Für die letzten drei Sonntage. Zu Zeiten von Bruder Schwenckefeld wären es zwanzig gewesen. Es wird nicht lange dauern, dann wird auch der Dritte verbrannt. Seine Hochwürden hat einen Hexer gefangen. Wie es heißt, völlig dem Teufel verfallen. Eben wird er hochnotpeinlich befragt.«
»Bei den Dominikanern?«
»Im Rathaus.«
»Ist Hejncze dabei?«
»Ausnahmsweise«, der Spitalbruder lächelte widerwärtig, »ist er es.«
»Dieser Hexer, was ist das für einer?«
»Zacharias Voigt, der Apotheker.«
»Im Rathaus, sagst du, Bruder?«
»Im Rathaus.«
Gregor Hejncze, amtierender
inquisitor a Sede Apostolica specialiter deputatus
der Diözese Breslau, war tatsächlich ein außergewöhnlich junger Mann. Der Mauerläufer schätzte ihn auf nicht mehr als dreißig Jahre, was bedeutete, dass sie gleichaltrig waren. Als der Mauerläufer den Rathauskeller betrat, war der Inquisitor gerade beim Essen. Mit hochgekrempelten Ärmeln ließ er sich direkt aus einem Topf Grütze mit Speckgrieben munden. Im Licht der Kienspäne und Kerzen präsentierte sich eine malerische und stimmungsvolle Szenerie – das Kreuzrippengewölbe, die rauhen Wände, der Eichentisch, dasKruzifix, die wachsüberzogenen Leuchter, der weiße Fleck des Dominikanerhabits und die bunten Sprenkel, die das tönerne Geschirr, der Rock und das Mieder des aufwartenden Mädchens bildeten – all dies wirkte wie eine Miniatur aus einem liturgischen Messgesangbuch, es fehlte nur noch die Bemalung.
Die dadurch erzeugte Stimmung störten und verdarben aber die Schreie und Schmerzensrufe, die in regelmäßigen Abständen aus dem darunter gelegenen Keller drangen, dessen Eingang, wie das Tor zur Hölle, das rot flackernde Licht eines Feuers erhellte.
Der Mauerläufer blieb auf der Treppe stehen und wartete. Der Inquisitor aß. Er hatte es nicht eilig. Er leerte den Topf bis auf den Grund, kratzte sogar mit dem Löffel den angebrannten Rest ab. Dann erst hob er den Kopf. Die eckigen, in der Mitte zusammengewachsenen
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