Narrenturm - Roman
Grund zur Freude. Dass jemand dem Officium die Arbeit abgenommen hat.«
»Das Officium liebt es nicht, wenn ihm jemand die Arbeit abnimmt. Das würde ich dem Bischof antworten.«
»Der Bischof würde dagegenhalten, dass in einem solchen Fall das Officium geschickter und schneller sein müsste.«
Aus der Tiefe drang wieder ein Schrei empor, diesmal noch lauter, erschreckender, gedehnter und länger anhaltend. Der schmale Mund des Mauerläufers verzog sich zur Parodie eines Lächelns.
»Oho«, sagte er mit einer andeutenden Kopfbewegung, »das rote Eisen. Vorher gab es einen einfachen
strappado
und Schraubzwingen an Händen und Füßen. Nicht wahr?«
»Das ist ein verstockter Sünder«, erwiderte Hejncze lustlos. »
Haereticus pertinax . . .
Aber lasst uns nicht vom Thema abkommen, Herr Ritter. Seid so freundlich und richtet Seiner Eminenz Bischof Konrad aus, die heilige Inquisition beobachte mit zunehmendem Missfallen, dass Menschen, gegen die Anzeigen vorliegen, auf geheimnisvolle Weise sterben. Menschen, die der Häresie, der Umtriebe und der Konspiration mit den Ketzern verdächtig sind. Diese Menschen sterben, bevor die Inquisition sie befragen kann. Es sieht ganz danach aus, als wolle hier jemand seine Spuren verwischen. Und derjenige, der die Spuren der Häresie verwischt, wird sich selbst kaum vom Vorwurf der Häresie freimachen können.«
»Ich werde dem Bischof alles Wort für Wort berichten. Der Mauerläufer lächelte spöttisch. Aber ich bezweifle, dass er Befürchtungen hegt. Er gehört nicht zu den Ängstlichen. Wie alle Piasten.«
Beim vorangegangenen Schrei hatte es geschienen, als könne der Gemarterte unmöglich noch lauter und furchtbarer schreien. Aber der Schein hatte getrogen.
»Wenn er jetzt nicht gesteht«, sagte der Mauerläufer, »dann gesteht er nie.«
»Es hat den Anschein, als seid Ihr darin geübt.«
»Nicht in der Praxis, Gott bewahre.« Der Mauerläufer lächelte höhnisch. »Ich habe nur die Praktiker zitiert. Bernard de Gui. Nicolas Eymerich. Und Eure großen schlesischen Vorgänger: Peregrinus von Oppeln, Jan Schwenckefeld. Besonders Letzteren würde ich der Aufmerksamkeit von Euer Hochwürden empfehlen.«
»Tatsächlich?«
»Nicht anders. Bruder Jan Schwenckefeld freute sich nämlich jedes Mal und war beglückt, wenn irgendeine geheimnisvolle Hand einen Lumpen, einen Ketzer oder einen Helfershelfer von Ketzern getötet hat. Bruder Jan hat im Geiste jener geheimnisvollen Hand gedankt und ein Gebet für sie gesprochen. Da gab es ganz einfach einen Lumpen weniger, und Bruder Jan selbst hatte dafür mehr Zeit für die anderen Lumpen. Denn Bruder Jan hielt es für gut und richtig, dass die Sünder in Angst lebten. Denn wie das Deuteronium lehrt, zittert der Sünder Tag und Nacht in Angst und Schrecken und ist seines Lebens nicht sicher. Am Morgen denkt er, es möge Abend werden, und am Abend, es möge Morgen werden.«
»Ihr sagt da interessante Dinge, Herr. Ich werde darüber nachdenken, seid gewiss.«
»Ihr werdet feststellen«, sagte der Mauerläufer nach einer Weile, »und dieser Ansicht sind viele Päpste und Kirchengelehrte gefolgt, dass Hexen und Ketzer eine einzige große Sekte sind, die nicht ungeordnet, sondern nach einem großen, von Satan selbst ersonnenen Plan arbeiten. Ihr werdet mir nachdrücklich zustimmen, dass die Häresie und das
maleficium
ebenso eine, zahlenmäßig gewaltige, schlagkräftige, perfekt funktionierende und vom Teufel selbst geleitete Organisation ist. Eine Organisation, die in heftigem, verbissenem Kampf konsequent den Plan realisiert, Gott vom Thron zu stürzen und die Macht in der Welt zu übernehmen. Warum weist Ihr dann so heftig den Gedanken von Euch, dass in diesem Kampf auch die Gegenseite . . . ihre eigene . . . geheime . . .Organisation ins Leben gerufen hat? Warum wollt Ihr nicht daran glauben?«
»Allein deshalb«, entgegnete ihm der Inquisitor ruhig, »weil keiner der Päpste und Kirchengelehrten je eine derartige Ansicht gutgeheißen hat. Und zwar deshalb, ich füge dies noch hinzu, weil Gott keine geheime Organisation braucht, solange er uns hat, das Heilige Officium. Und auch deshalb, weil ich schon zu viele Irregeleitete gesehen habe, die sich für Gottes Werkzeug gehalten, die in göttlicher Mission und im Namen der Vorsehung zu wirken geglaubt haben. Zu viele, die vermeinten, Stimmen gehört zu haben.«
»Da kann man Euch nur beneiden. Dass Ihr so viel gesehen habt. Wer hätte das gedacht, so jung, wie Euer Hochwürden
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