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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Steinbogen den dunklen Tunnel einer Einfahrt, in der es so stank, als hätten schon die alten Stämme der Slensanen und Dedositzen hierher gepisst. Durch den Torweg gelangten sie in einen kleinen Hof, der mit Abfällen und Stroh bedeckt war, und Katzen gab es hier so viele, dass der Tempel der Göttin Bastet im ägyptischen Bubastis ihrer würdig gewesen wäre.
    Das andere Ende des Hofes wurde von einem hufeisenförmigen Kreuzgang gesäumt, neben den nach oben führenden steilen Treppen stand eine Holzfigur mit verblassenden Spuren von Farben und Blattgold.
    »Ein Heiliger?«
    »Der Evangelist Lukas«, erklärte Scharley und betrat die knarrenden Stufen, »der Patron der Maler.«
    »Und wozu sind wir hierher zu diesen Malern gekommen?«
    »Wegen verschiedener Dinge, die wir für unsere Ausrüstung brauchen.«
    »Zeitverschwendung«, meinte der ungeduldige und sich nach seiner Angebeteten verzehrende Reynevan. »Wir verlieren nur Zeit! Und was für eine Ausrüstung? Ich verstehe gar nichts . . .«
    »Für dich«, unterbrach ihn Scharley, »finden wir neue Fußlappen. Glaub mir, die wirst du dringend brauchen. Und wir können aufatmen, sobald du die alten loswirst.«
    Die faul auf den Stufen lagernden Katzen machten nur ungern Platz. Scharley klopfte an, die massive Tür öffnete sich, und ein kleiner, hagerer Mann mit wirrem Haarschopf und bläulicher Nase erschien in einem mit bunten Farbflecken besprengten Kittel.
    »Meister Justus Schottel ist nicht da«, erklärte er mit komischem Augenzwinkern. »Kommt später wieder, ihr guten . . . Bei Gott! Ich traue meinen Augen nicht! Der gnädige Herr . . .«
    »Scharley!«, kam ihm der Demerit rasch zuvor. »Lasst uns nicht auf der Schwelle stehen, Herr Unger.«
    »Aber nicht doch, nicht doch . . . Bitte, bitte . . .«
    Drinnen roch es stark nach Farbe, Leinöl und Harz, und es sah nach harter Arbeit aus.
    Ein paar junge Leute in fettigen, geschwärzten Kitteln tummelten sich um zwei seltsam anmutende Maschinen. Die Maschinen waren mit Drehrädern versehen und erinnerten an Pressen. Und es waren tatsächlich Pressen.
    Vor Reynevans Augen wurde unter der von einer Holzschraube niedergehaltenen Stanze ein Bogen Papier hervorgezogen, auf dem man die Madonna mit dem Kinde sah.
    »Interessant.«
    »Hä?« Der blaunasige Herr Unger riss sich vom Anblick Samson Honigs los. »Was sagt Ihr, junger Herr?«
    »Das ist interessant.«
    »Das noch mehr.« Scharley hielt einen Bogen hoch, den er aus der anderen Maschine gezogen hatte. Auf dem Bogen waren einige gleichmäßig angeordnete Rechtecke zu sehen. »Das waren Karten für das Pikett, Asse, Ober und Unter, modern, nach französischem Muster in den Farben
pique
und
trèfle.
«
    »Ein volles Blatt«, bemerkte Unger stolz, »also sechsunddreißig Karten, machen wir in vier Tagen.«
    »In Leipzig«, erwiderte Scharley, »machen sie es in zweien.«
    »Serienplunder!«, ereiferte sich der Blaunasige, bei seiner Ehre gepackt. »Mit schlechten Holzschnitten, schlecht bemalt und schief geschnitten. Unsere dagegen, schaut nur, wie deutlich die Zeichnungen des Musters sind, wenn sie erst koloriert sind, wird das ein Meisterwerk. Dann werden sie mit unseren spielen auf den Schlössern und Gütern, ja, an den Lehrstühlen und Kollegiaten, und mit denen aus Leipzig spielen nur die Strolche in Schenken und Bordellen . . .«
    »Schon gut, schon gut. Wie viel nehmt Ihr für ein Blatt?«
    »Anderthalb Schock Groschen, wenn man
loco
in der Werkstatt kauft. Bei
franco
zum Kunden kommt der Transport dazu.«
    »Führt uns ins hintere Gemach, Herr Simon. Ich werde dort auf Meister Schottel warten.«
    In der zweiten Stube, die sie durchquerten, war es still und ruhig. Hier saßen drei Künstler vor den Rahmen. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie nicht einmal den Kopf hoben.
    Auf der Platte des ersten Künstlers war nur die Grundierung und eine Skizze zu sehen, es ließ sich also nicht erraten, was es darstellen würde. Das Werk des zweiten Malers war viel weiter fortgeschritten, Salome mit dem Haupt Johannes’ des Täufers auf einem Tablett war darauf zu sehen. Salome trug ein durchsichtiges Schleppenkleid, der Künstler hatte dafür gesorgt, dass jedes noch so kleine Detail zu sehen war. Samson Honig lachte leise. Reynevan seufzte. Er blickte auf die dritte Platte und seufzte noch lauter.
    Das Bild war fast fertig und stellte den heiligen Sebastian dar. Der Sebastian auf dem Bild unterschied sich jedoch ganz erheblich von den üblichen

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