Narrenturm - Roman
Dann setzte er sich an den Tisch und faltete die Hände über dem Bauch. Er betrachtete Reynevan aufmerksam, lange, sehr lange ließ er seinen Blick auf Samson Honig ruhen.
»Du bist gekommen, das Geld abzuholen«, erriet er schließlich mit düsterer Miene. »Ich muss dir sagen . . .«
»Dass die Geschäfte schlecht gehen«, unterbrach ihn Scharley, ohne Umschweife zu machen. »Ich weiß. Ich hab’s gehört. Hier ist eine Liste. Ich habe sie geschrieben, weil mir langweilig war, auf dich zu warten. Alles, was darauf steht, muss ich morgen haben.«
Die Katze sprang Schottel auf den Schoß, der Holzschnitzer streichelte sie nachdenklich. Er las lange. Schließlich hob er den Blick.
»Übermorgen. Denn morgen ist Sonntag.«
»Stimmt. Das hatte ich ganz vergessen.« Scharley nickte. »Was soll’s, dann werden auch wir den Feiertag heiligen. Ich weiß nicht, wann ich wieder nach Schweidnitz komme, es wäre also fast eine Sünde, nicht einige Keller aufzusuchen und zu prüfen, wie das diesjährige Märzen gelungen ist. Aber übermorgen,
maestro,
ist es so weit. Am Montag, und keinen Tag länger. Verstehst du?«
Meister Schottel bestätigte mit einem Kopfnicken, dass er verstanden hatte.
»Ich frage dich nicht nach meinem Kontostand«, fuhr Scharley nach einer Weile fort, »denn ich habe weder die Absicht, die Gesellschaft aufzulösen, noch die, meinen Anteil zurückzuziehen. Du musst mir nur zusagen, dass du dich um die Firmakümmerst. Dass du die guten Ratschläge, die ich dir damals gegeben habe, nicht leichtfertig abtust. Auch nicht die Ideen, die für die Firma gewinnbringend sind. Du weißt, wovon ich rede?«
»Ich weiß es.« Justus Schottel kramte aus der Tasche einen großen Schlüssel hervor. »Gleich kannst du dich davon überzeugen, dass ich mir deine Ideen und Ratschläge zu Herzen nehme. Herr Simon, nehmt die Holzschnittproben aus der Truhe und bringt sie her. Die aus der Bibelserie.«
Unger erledigte das schnell.
»Bitte.« Schottel breitete die Bögen auf dem Tisch aus. »Alles eigenhändig, da habe ich die Schüler nicht mittun lassen. Einige sind schon fertig für die Presse, an ein paar anderen arbeite ich noch. Ich glaube daran, dass deine Idee gut ist. Dass die Leute das kaufen werden. Unsere Bibelserie. Na, bitte, bitte, deine Meinung. Eure Meinung, meine Herren.«
»Was ist das . . .?« Reynevan, errötend, wies auf einen der Bögen, der ein nacktes Paar in einer eindeutigen Pose und Situation darstellte. »Was ist das?«
»Adam und Eva. Das sieht man doch. Das, worauf Eva sich stützt, ist der verbotene Baum.«
»Aha.«
»Und hier, bitte schaut«, der Holzschneider zeigte voller Stolz auf sein Werk, »Abraham und Hagar. Hier sind Samson und Dalila. Hier Amnon und Tamar. Ist mir doch ganz hübsch gelungen, nicht wahr? Hier . . .«
»Bei meiner Seele . . . Was soll denn das sein? Dieses Gewirr?«
»Jakob, Lea und Rachel.«
»Und das . . .«, stammelte Reynevan, der spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss, »das ist . . . das . . .«
»David und Jonathan«, erklärte Justus Schottel ungerührt. »Aber das muss ich noch verbessern. Überarbeiten . . .«
»Überarbeite es«, unterbrach Scharley ziemlich schroff, »in David und Bathseba. Denn hier fehlt, zum Teufel, nur noch Balaam und die Eselin. Zügle ein bisschen deine Phantasie,Justus. Ihr Überfluss schadet, wie zu viel Salz in der Suppe. Und das verdirbt das Geschäft. Insgesamt aber, fügte er hinzu, um den etwas verschnupften Künstler wieder gnädig zu stimmen,
bene, bene, benissime, maestro.
Ich sag’s kurz: Besser, als ich erwartet hatte.«
Justus Schottels Miene erhellte sich, wie jeder Künstler war er eitel und auf Lob bedacht.
»Du siehst also, Scharley, dass ich die Bratäpfel nicht im Rohr verschmoren lasse, sondern mich um die Firma kümmere. Und ich sage dir auch noch, dass ich interessante Kontakte geknüpft habe, die für uns von großem Nutzen sein werden. Ich habe in der Schenke ›Zum Rind und zum Lamm‹ einen ganz ungewöhnlichen jungen Mann kennen gelernt, einen tüchtigen Erfinder . . . Ach, was soll ich da groß erzählen, sieh und höre selbst. Denn ich habe ihn eingeladen. Du musst ihn dir nur ansehen. Ich bin sicher, wenn du ihn kennen lernst . . .«
»Ich werde ihn nicht kennen lernen«, Scharley ließ ihn nicht ausreden. »Ich möchte nicht, dass dieser junge Mensch mich überhaupt bei dir sieht. Weder mich noch meine Gefährten.«
»Ich verstehe«, versicherte Schottel nach kurzem
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