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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schweigen, »du bist schon wieder irgendwo in die Scheiße getreten.«
    »Kann man so sagen.«
    »Kriminell oder politisch?«
    »Das hängt vom jeweiligen Standpunkt ab.«
    »Was soll’s«, meinte Schottel, »die Zeiten sind danach. Ich verstehe, dass du nicht willst, dass man dich hier sieht. In diesem Fall sind deine Einwände aber unbegründet. Der junge Mann, von dem ich gesprochen habe, ist ein Deutscher, aus Mainz gebürtig, Baccalaureus der Universität Erfurt. Er ist nur auf der Durchreise in Schweidnitz. Er kennt hier niemanden. Außerdem reist er gleich weiter. Es lohnt sich, Scharley, es lohnt sich, seine Bekanntschaft zu machen, und es lohnt sich, über seine Erfindung nachzudenken. Er ist ungewöhnlich, ein heller Kopf, ein Visionär, würde ich meinen. Wirklich, ein
vir mirabilis.
Du wirst ja selbst sehen.«
     
    Mit tiefem, vollem Klang ertönte die Glocke der Pfarrkirche, ihren Ruf, den Englischen Gruß zu beten, nahmen auch die Glocken der übrigen vier Schweidnitzer Kirchen auf. Das Glockengeläut beendete den Arbeitstag   – und auch die eifrigen, lauten Werkstätten in der Kesselschmiedgasse wurden allmählich still.
    Auch die Künstler und Gesellen aus der Werkstatt von Meister Justus Schottel waren längst nach Hause gegangen; als endlich der angekündigte Gast erschien, jener helle Kopf und Visionär, begrüßten ihn in der Stube mit den Pressen nur der Meister selbst, Simon Unger, Scharley, Reynevan und Samson Honig.
    Der Gast war in der Tat ein junger Mann, etwa so alt wie Reynevan. Ein Scholar erkennt den anderen sofort: Während der Begrüßung fiel die Verbeugung des Gastes vor Reynevan weniger förmlich aus, und sein Lächeln wurde aufrichtiger.
    Der Ankömmling trug hohe Stiefel aus genarbtem Saffianleder, ein weiches Samtbarett und einen kurzen Mantel über einem Lederwams, das mehrere Messingklammern schlossen. Über der Schulter trug er eine große Reisetasche. Alles in allem glich er eher einem Troubadour als einem Scholaren, das Einzige, was auf eine Verbindung mit der akademischen Welt hinwies, war ein breites Nürnberger Stilett, üblich an allen Hochschulen Europas, sowohl von Studenten wie auch von Wissenschaftlern getragen.
    »Ich bin«, begann der Ankömmling, ohne zu warten, dass Schottel ihn vorstellte, »Baccalaureus der Erfurter Universität und heiße Johann Gensfleisch von Sulgeloch zum Gutenberg. Ich weiß, das ist ein bisschen lang, also kürze ich meistens ab. Johann Gutenberg.«
    »Das ehrt Euch«, erwiderte Scharley. »Und da auch ich ein Freund davon bin, unnötig lange dauernde Angelegenheiten abzukürzen, kommen wir also gleich zur Sache. Worum geht es bei Eurer Erfindung, Herr Johann Gutenberg?«
    »Um den Druck. Genauer, um das Drucken von Texten.«
    Scharley blätterte nachlässig in den auf dem Tisch liegenden Holzschnitten, zog einen heraus und zeigte ihn allen; unter dem Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit stand die Aufschrift: BENEDICITE POPULI DEO NOSTRO.
    »Ich weiß«, sagte Gutenberg leicht errötend, »ich weiß, Herr, was Ihr mir zu verstehen geben wollt. Ihr macht darauf aufmerksam, dass der Künstler, will er einen solchen, nicht sehr langen Text erstellen, ihn mühsam etwa zwei Tage lang ins Holz schneiden muss. Vertut er sich auch nur bei einem Buchstaben, ist die ganze Arbeit umsonst, und er muss von vorn beginnen. Und wenn er den Holzschnitt für, sagen wir, den gesamten fünfundsechzigsten Psalm anfertigen muss, wie lange muss er daran arbeiten? Und wenn er alle Psalmen drucken will? Oder gar die ganze Bibel? Wie lange . . .«
    »Eine ganze Ewigkeit wohl«, unterbrach ihn Scharley. »Eure Erfindung, nehme ich an, beseitigt sämtliche Nachteile des Holzschneidens?«
    »Jedenfalls in bedeutendem Maße.«
    »Ihr macht mich neugierig.«
    »Wenn Ihr gestattet, werde ich es Euch zeigen.«
    »Ihr habt meine Erlaubnis.«
    Johann Gensfleisch von Sulgeloch zum Gutenberg öffnete seine Tasche und kippte ihren Inhalt auf den Tisch. Er begann seine Vorführung, wobei er das, was er tat, erläuterte.
    »Ich habe«, sagte er, »aus hartem Metall Klötzchen mit den einzelnen Buchstaben gefertigt. Die Buchstaben auf den Klötzchen sind, wie Ihr seht, erhaben, ich habe das eine Patrize genannt. Wenn man so eine Patrize in weiches Kupfer drückt, erhält man . . .«
    »Eine Matrize«, erriet Scharley. »Das ist klar. Das Erhabene passt zur Hohlform wie der Papa zur Mama. Lasst weiter hören, Herr von Gutenberg.«
    »Von den hohlen, gewölbten Matrizen kann ich

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