Narrenturm - Roman
Interessanterweise war es gerade dieser Gutenberg, der zum Gegenstand ihres Gespräches wurde, bei dem es seltsamerweise aber nicht um dessen Erfindung ging. Der Weg hinter dem Unteren Tor, der, dem Tal der Peile folgend, nach Reichenbach führte, war Teil des wichtigen Handelsweges Neisse – Dresden und als solcher stark frequentiert. So sehr, dass dies Scharleys empfindliches Geruchsorgan zu stören begann.
»Die Herren Erfinder«, nörgelte der Demerit und verscheuchte die lästigen Fliegen, »wie Herr Gutenberg
et consortes
, könnten sich endlich mal was Praktisches ausdenken. Etwas, das eine andere Art der Fortbewegung bewirkt, sagen wir mal, so ein
perpetuum mobile,
etwas, das sich selbst bewegt, ohne dass dazu Pferde oder Ochsen notwendig sind, so wie diehier, die uns unaufhörlich vorführen, wie unerschöpflich ihre Gedärme sind. Ach wahrlich, ich sage euch, mir träumt von einem Gefährt, das sich von allein bewegt und nicht gleichzeitig die Umwelt verpestet. Was? Reinmar? Samson? He! Was sagst du dazu, du Philosoph aus einer anderen Welt?«
»Etwas, das sich selbst bewegt und dabei nicht stinkt.« Samson Honig dachte laut nach. »Sich selbst bewegt, den Weg nicht beschmutzt und die Umwelt nicht verpestet. Ha, in der Tat, das ist kein einfaches Unterfangen. Meine Erfahrung sagt mir, dass die Erfinder es lösen werden, aber nur zum Teil.«
Scharley wollte den Riesen fragen, was er damit meine, kam aber nicht dazu, weil er von einem Reiter gestört wurde, einem zerlumpten Kerl, der ohne Sattel auf einer dürren Mähre saß und an ihnen vobei zur Spitze der Kolonne preschte. Scharley zügelte sein scheuendes Pferd, drohte dem zerlumpten Kerl mit der Faust und schickte ihm eine Salve von Flüchen hinterher. Samson stand in den Steigbügeln und blickte zurück in die Richtung, aus welcher der Lumpenkerl gekommen war. Der schnell lernende Reynevan wusste, wonach er Ausschau hielt.
»Dem Dieb brennt der Boden unter den Füßen«, erriet er. »Diesen Ausreißer muss jemand gestört haben. Jemand, der aus der Stadt kommt . . .«
». . . und aufmerksam alle Reisenden mustert«, beendete Samson den Satz. »Es sind fünf . . . Nein, sechs Bewaffnete. Einige haben ein Wappen auf dem Wams. Einen schwarzen Vogel mit gespreizten Flügeln . . .«
»Ich kenne dieses Wappen . . .«
»Ich auch!«, rief Scharley höchst beunruhigt und straffte die Zügel. »Gebt den Pferden die Sporen! Der dürren Stute hinterher! Los! So schnell es geht!«
Kurz bevor sie die Spitze des Zuges erreicht hatten, dort, wo der Weg in einen schummrigen Buchenwald führte, bogen sie in den Wald ab und verbargen sich etwas später in den Büschen. Und sie sahen, wie zu beiden Seiten des Weges sechs Reiter herankamen, die alle Reisenden von Kopf bis Fuß mustertenund aufmerksam in die Wagen und unter die Planen der Fuhrwerke schauten. Stefan Rotkirch. Dieter Haxt. Jens von Knobelsdorf, genannt der Uhu. Und Wittich, Morold und Wolfher Sterz.
»Jaaa«, sagte Scharley gedehnt. »Jaaa, Reinmar. Du hast dich für klug und alle Welt für dumm gehalten. Es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass du dich geirrt hast. Mittlerweile kennt die ganze Welt dich und deine leicht zu durchschauenden Absichten. Sie wissen, dass du nach Münsterberg willst, wo deine Liebste ist. Und wenn du jetzt vielleicht gerade zu zweifeln beginnst und nach dem Sinn deiner Reise nach Münsterberg zu suchen, dann zerbrich dir bloß nicht den Kopf. Das macht nämlich gar keinen Sinn. Überhaupt keinen. Dein Plan ist . . . Erlaube, dass ich nach einem passenden Wort dafür suche . . . Hmmm . . .«
»Scharley . . .«
»Ich hab’s! Absurd.«
Der Streit war kurz, heftig und völlig sinnlos. Reynevan blieb taub für Scharleys Einwände. Scharley ließ Reynevans Liebessehnsucht kalt. Samson enthielt sich der Stimme. Reynevan, dessen Gedanken hauptsächlich um die Anzahl der Tage kreisten, die er von der Geliebten getrennt war, bestand darauf, die Reise nach Münsterberg fortzusetzen, entweder den Sterz’ hinterher, oder zu versuchen, ihnen zuvorzukommen, etwa dann, wenn sie eine Verschnaufpause einlegten, höchstwahrscheinlich kurz vor Reichenbach oder in der Stadt selbst. Scharley war ganz entschieden dagegen. Er meinte, die demonstrative Entschlossenheit der Sterz’ könne nur eines bedeuten.
»Sie haben den Auftrag, dich Richtung Reichenbach und Frankenstein zu jagen. Und dort warten schon irgendwo Kyrieleison und de Barby. Glaub mir, mein Junge, das ist die
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