Narrenturm - Roman
Favoritin des Königs von Aragon.«
»Hier kann es gut sein, dass der Troubadour fabuliert hat«, stimmte ihm Scharley zu, »denn es endete damit, dass er vom Hof verjagt worden ist, enthielte seine Poesie auch nur ein Körnchen Wahrheit, hätte die Sache ein trauriges Ende nehmen können. Oder wenn der König etwas feuriger gewesen wäre. Wie zum Beispiel Herr de Saint-Gilles. Der hat für eine zweideutige Kanzone an seine Ehefrau dem Troubadour Peire Vidal die Zunge abschneiden lassen.«
»Ja, der Legende nach . . .«
»Und der Troubadour Giraut de Corbeilh, der in Carcassonne von der Mauer gestürzt wurde, ist das vielleicht auch eine Legende? Und Gaucelm de Pons, vergiftet wegen einer schönen verheirateten Dame? Du kannst sagen, was du willst, Samson, nicht jeder Hahnrei ist ein solcher Narr wie der Markgraf von Montferrat, der, als er seine Frau schlafend in den Armen des Troubadours Raimbaut de Vaqueiras im Garten entdeckt hat, seinen Mantel über die beiden breitete, damit ihnen nicht kalt würde.«
»Das war seine Schwester, nicht seine Frau. Aber alles andere ist richtig.«
»Und welches Schicksal hat Daniel Carret ereilt, als er dem Baron de Faux Hörner aufgesetzt hat? Der Baron hat ihn von gedungenen Mördern erschlagen und aus seinem Schädel einen Pokal fertigen lassen, aus dem er jetzt trinkt.«
»Das ist alles wahr.« Samson Honig nickte. »Nur, dass er kein Baron, sondern ein Graf war. Und dass er den Dichter nichtgetötet, sondern gefangen gesetzt hat. Und dass er keinen Pokal, sondern ein Schmucksäckchen hat anfertigen lassen. Für sein Siegel und fürs Kleingeld.«
»Ein Säck . . .«, Reynevan musste schlucken, »ein Säckchen?«
»Ein Säckchen.«
»Warum wirst du plötzlich so blass, Reinmar?« Scharley spielte den Besorgten. »Was hast du, wirst du vielleicht krank? Du hast doch immer behauptet, für eine große Liebe müsse man Opfer bringen. Man sagt doch zu seiner Auserwählten: Du bist mir mehr wert als ein ganzes Königreich, als ein Zepter, als Gesundheit, als ein hohes Alter und mein Leben . . . Und so ein Säckchen? So ein Säckchen ist doch eine Kleinigkeit.«
Von einem nahe gelegenen Kirchlein herüber, in einer Ortschaft, von der Scharley behauptete, sie heiße Leutmannsdorf, erklang soeben der Schlag der Glocke, als der an der Spitze reitende Reynevan anhielt und die Hand hob.
»Hört ihr das?«
Sie waren an einer Weggabelung mit einem schiefen Steinkreuz und einer Figur, die Regen und Schnee in einen gestaltlosen Götzen verwandelt hatten.
»Das sind Vaganten«, behauptete Scharley, »sie singen.«
Reynevan schüttelte den Kopf. Die Töne, die aus dem sich im Wald verlierenden Hohlweg herüberwehten, erinnerten weder an
Tempus est iocundum
noch an
Amor tenet omnia,
auch nicht an
In taberna quando sumus
oder an irgendein anderes bekanntes Goliarden-Lied. Die Stimmen, die er hörte, glichen keineswegs den Stimmen der Vaganten, die sie vor kurzem überholt hatten. Sie klangen eher wie . . .
Seine Hand tastete nach dem Griff seines Schwertes, eines weiteren Geschenkes aus Schweidnitz. Dann beugte er sich im Sattel vor und trieb das Pferd an. Zum Trab. Und dann zum Galopp.
»Wo willst du hin?«, schrie Scharley ihm hinterher. »Bleib stehen! Halt an, zum Teufel! Du bringst uns in Schwierigkeiten, Dummkopf!«
Reynevan hörte nicht. Er ritt den Hohlweg entlang. Und hinter dem Hohlweg, auf der Wiese, tobte ein Kampf. Dort stand ein Gespann, zwei stämmige Pferde und ein Fuhrwerk mit einer schwarzen, pechgetränkten Plane. Daneben drangen etwa zehn Mann zu Fuß, in Brigantinen und mit stachelbewehrten Hauben und Helmen, mit Stangen und Stöcken bewaffnet, auf zwei Ritter ein. Der eine Ritter saß in voller Rüstung zu Pferde, von Kopf bis Fuß in Eisen gehüllt, also von der Spitze des Helmes bis zu den Spitzen der Sabatons. Die Spitzen der Spieße und Schwerter prallten von seinem Brustharnisch ab, klirrten über das Tasset und die Beinschienen, ohne dass sie in eine Spalte hätten eindringen können. Weil sie dem Reiter nicht beikommen konnten, ließen die Angreifer ihre Wut an dem Pferd aus. Sie stachen zwar nicht darauf ein und waren bemüht, es nicht zu verletzen – schließlich kostete so ein Pferd teures Geld –, aber sie schlugen es mit ihren Stangen und rechneten damit, dass das wild tobende Tier seinen Reiter abwerfen würde. Das Pferd scheute, warf den Kopf hin und her, schnaubte und kaute ungestüm auf der schaumtriefenden Trense. Auf diese Art von
Weitere Kostenlose Bücher