Narrenturm - Roman
Ohren verschuldet, verkaufte, was zu verkaufen war, verpachtete, was nur möglich war. Vor dem Ruin hatte ihn die Heirat mit Elżbieta Melsztyńska, der außerordentlich reichen Witwe des Krakauer Wojwoden Spytko, gerettet. Solange sie lebte, hatte Herzogin Elżbieta Johann und seine Repräsentationssucht etwas gebremst, aber nachdem sie verstorben war, hatte sich der Herzog mit doppeltem Eifer darangemacht, sein Erbe durchzubringen. In Münsterberg gab es wieder Turniere, glänzende Festgelage und prunkvolle Jagden.
Erneut ertönten die Trompeten, die Menge schrie auf. Sie waren schon so nah herangekommen, dass sie von der Anhöhe aus die Schranken sehen konnten – das klassische Maß einhaltend, zweihundertfünfzig Schritte lang, hundert Schritte breit, von einer doppelten Plankenreihe umgeben, auf der Außenseite besonders solide, um dem Druck des Pöbels standzuhalten. Innerhalb der Schranken war eine Barriere errrichtet worden, an der entlang in diesem Augenblick zwei Ritter mit gesenkten Lanzen aufeinander zustürmten. Die Menge kreischte, pfiff und klatschte Beifall.
»Dieses Turnier«, meinte Scharley nachdenklich, »jenes
hastiludium,
das wir hier bestaunen, erleichtert uns unsere Aufgabe. Die ganze Stadt hat sich hier versammelt. Schaut mal, dort sind sie sogar auf die Bäume geklettert. Ich wette, Reinmar, dass keiner deine Liebste bewacht. Lasst uns absitzen, damit wir nicht auffallen; wir umgehen dieses laute Spektakel, mischen uns unter die Bauern und laufen in die Stadt.
Veni, vidi, vici!
«
»Bevor wir in Cäsars Fußstapfen treten«, gab Samson Honig kopfschüttelnd zu bedenken, »sollten wir erst einmal nachsehen, ob sich Reinmars Liebste nicht zufällig unter den Zuschauern des Turniers befindet. Wenn sich die ganze Stadt hier versammelt hat, ist sie vielleicht auch da.«
»Was hätte Adele hier in dieser Gesellschaft zu suchen?« Reynevan stieg vom Pferd. »Ich möchte euch daran erinnern, dass sie hier gefangen gehalten wird. Gefangene lädt man nicht zum Turnier ein.«
»Gewiss. Aber was schadet es, wenn wir nachsehen?«
Reynevan zuckte die Achseln.
»Also weiter. Kommt!«
Sie mussten vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen und darauf achten, nicht in Exkremente zu treten. Die angrenzenden Büsche wurden, wie bei jedem Turnier, als Latrine benutzt. Münsterberg zählte etwa fünftausend Einwohner, und da das Turnier sicher auch Gäste angelockt hatte, waren wohl etwa fünftausendfünfhundert Leute anwesend. Wie es aussah, war jeder von ihnen mindestens zweimal in den Büschen gewesen, um sich auszuscheißen, auszupissen und angeknabberte Brezeln wegzuwerfen. Es stank wie in der Hölle. Offensichtlich war es nicht der erste Tag des Turniers.
»Ein prächtiges Turnier«, meinte Samson Honig, »prächtig und teuer.«
»Wie immer bei Herzog Johann.«
Ein stämmiger Knecht ging an ihnen vorbei, eine muntere, rotbäckige, feurig äugelnde Schönheit in die Büsche führend. Reynevan blickte voller Sympathie auf das Paar und wünschteihnen insgeheim, dass sie ein verborgenes und sauberes Plätzchen finden mochten. Dieser Gedanke wurde überlagert durch das aufdringliche Bild von dem, dem sich das Paar in den Büschen hingeben würde, er verspürte eine angenehme Regung im Schritt. Nichts da, dachte er, nichts da, von ähnlichen Wonnen mit Adele trennt mich nur noch eine kurze Zeit.
»Dort entlang.« Scharley führte sie mit sicherem Instinkt zwischen den Buden der Huf- und Waffenschmiede hindurch. »Bringt die Pferde hierher, an den Zaun. Und kommt hier herüber. Hier herrscht nicht so ein Gedränge.«
»Lasst uns näher an die Tribüne herankommen«, sagte Reynevan. »Wenn Adele hier ist, dann . . .«
Seine Worte wurden von Fanfarenklängen übertönt.
»Aux honneurs, seigneurs chevaliers et escuiers!«
, rief der Marschall laut, als die Fanfaren verklungen waren.
»Aux honneurs! Aux honneurs!«
Die Devise von Herzog Johann war Modernität. Und Zugehörigkeit zu Europa. In dieser Hinsicht hob sich der Münsterberger Herzog sogar von allen anderen Piasten ab, er litt an einem Provinzkomplex, es kränkte ihn, dass sein Herzogtum an der Peripherie von Zivilisation und Kultur lag, in einem Randgebiet, hinter dem es außer Polen und Litauen nichts mehr gab. Dies schmerzte den Herzog zutiefst, und es drängte ihn fast krankhaft nach Europa. Für seine Umgebung war das machmal recht beschwerlich.
»Aux honneurs!«,
rief der Marschall, der ein gelbes, mit dem großen Piastenadler
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