Narrenturm - Roman
sein!«
Scharley packte ihn fest an den Schultern, wenn er dies nicht getan hätte, wäre Reynevan glatt vom Dach gefallen.
»Hat dich ihr Anblick so mitgenommen?«, fragte Scharley kühl. »Ich sehe, dass deine weitaufgerissenen Augen auf das Mädchen mit den blonden Zöpfen gerichtet sind. Die, an die sich gerade der junge von Dohna und ein Rawicz heranmachen. Kennst du sie? Wer ist das?«
»Nicoletta«, antwortete Reynevan leise, »Nicoletta mit dem blonden Haar.«
Der Plan, der in seiner Einfachheit genial und kühn zugleich erschienen war, zerschlug sich, das Unternehmen scheiterte voll und ganz. Scharley hatte es vorausgesehen, aber Reynevan ließ sich nicht aufhalten.
An den hinteren Teil der Tribüne grenzte ein Gebilde aus Pfählen und Gerüsten, das mit Stoff überzogen war. Die Zuschauer, zumindest die, welche Herkunft und Besitz über die anderen gestellt hatte, verbrachten dort die Pausen zwischen den Schaukämpfen, unterhielten sich mit Gesprächen, flirteten und führten ihre Garderobe vor. Sie nahmen auch Speisen und Getränke zu sich, denn jeden Augenblick rollten die Diener Fässer zu diesen Zelten, schleppten Fässchen und Bütten sowie Tragen mit Körben hin und her. Den Plan, sich in die Küche zu stehlen, unter die Dienerschaft zu mischen, einen Korb mit Brötchen zu ergreifen und sich damit ins Zelt zu begeben, hielt Reynevan geradezu für genial. Zu Unrecht.
Es gelang ihm gerade mal, mit dem Korb bis zum Vorzelt vorzudringen. Dort wurden die Lebensmittel abgeladen, welche die Pagen dann weitertrugen. Reynevan stellte seinen Korb ab, stahl sich unbemerkt aus der Reihe der in die Küche zurückkehrenden Knechte und schlüpfte hinter die Zelte. Er zog seinStilett hervor, um zur Beobachtung ein Löchlein in die Plane zu bohren. Dabei wurde er ertappt.
Der Griff kräftiger Hände ließ ihn erstarren, eine Hand wie aus Eisen drückte seine Kehle zu, eine zweite, gleichfalls eisern, presste ihm das Stilett aus der Hand. Schneller als erwartet fand er sich im Inneren des Zeltes wieder, wenn auch keineswegs so, wie er es sich erhofft hatte.
Man stieß ihn heftig vorwärts, er stürzte und erblickte dicht vor seiner Nase ein Paar modischer Schuhe mit unglaublich langen Schnäbeln. Solche Schuhe wurden
poulaines
genannt, diese Bezeichnung stammte aber keineswegs aus Europa, sondern aus Polen, für jenes Schuhwerk waren nämlich die Krakauer Schuster in der ganzen Welt berühmt. Man rüttelte ihn, er stand auf. Er kannte den, der ihn gerüttelt hatte, vom Sehen. Es war Tristram Rachenau. Ein Verwandter der Sterz’. Ihn begleiteten einige Baruther mit dem schwarzen Stier auf den Lendnern, ebenfalls mit den Sterz’ verschwägert. Reynevan hätte es nicht ärger treffen können.
»Ein Attentäter!« Tristram Rachenau übernahm die Vorstellung. »Ein Meuchelmörder, Euer Hoheit, Reinmar von Bielau.«
Die den Herzog umringenden Ritter ließen ein drohendes Gemurmel hören.
Herzog Johann von Münsterberg, ein gutaussehender, stattlicher Mann in den Vierzigern, trug ein enges, schwarzes
justaucorps
und darüber eine modische, reich mit Zobelpelz verbrämte
houppelande
. Um den Hals hatte er eine schwere Goldkette, auf dem Kopf einen modischen
chaperon turban
, mit einer auf die Schulter herabfallenden
liripipe
aus flämischem Musselin. Die dunklen Haare des Herzogs waren gleichfalls nach der neuesten europäischen Mode gestutzt – ein Topfschnitt rings um den Kopf, zwei Finger breit über den Ohren, vorne einen Pony, hinten rasiert bis hinauf zum Hinterkopf. An den Füßen trug der Herzog rote Krakauer
poulaines
mit langen modischen Schnäbeln, es waren dieselben, die Reynevan gerade in Fußbodenhöhe bewundert hatte. Der Herzog, Reynevan fühlte,wie sich seine Kehle und sein Magen mit schmerzhaftem Druck zusammenzogen, hatte seinen Arm Adele von Sterz gereicht, die ein Kleid in der allerneuesten Farbe,
vert d’émeraude,
mit einer Schleppe und mit geschlitzten, bis zum Boden reichenden Ärmeln trug, ein goldenes Netz im Haar, eine Perlenschnur um den Hals und ein Dekolletée, das über dem engen Korsett einen prachtvollen Einblick gewährte. Die Burgunderin blickte Reynevan an, ihr Blick war so kalt wie der einer Schlange.
Herzog Johann hielt Reynevans Stilett, das ihm Tristram Rachenau übergeben hatte, zwischen zwei Fingern, besah es sich und hob dann den Blick.
»Mit Schaudern denke ich daran«, sagte er, »dass ich es nicht recht geglaubt habe, als man dich eines Verbrechens
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