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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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verziertes Wams trug, wie dies in Europa üblich war.
»Aux honneurs! Laissez les aller!«
    Der Marschall, der gute, alte deutsche Marschall, hieß bei Herzog Johann selbstverständlich
roy d’armes
, ihm unterstanden die Herolde, modisch europäisch
percevances
, und das Lanzenstechen, das gute, alte Stechen über Schranken, hieß stilvoll und modisch europäisch
la jouste.
    Die Ritter legten die Lanzen ein und ritten unter demDröhnen der Hufe an der Barriere entlang aufeinander zu. Einer von ihnen, wie aus dem Wappen auf der Schabracke, einem Berggipfel auf silbernem und roten Schachmuster, zu ersehen war, enstammte der Familie Hoberg. Der zweite Ritter war ein Pole, davon zeugten das Wappen Jelita auf dem Schild und der Bock als Zier seines Turnierhelms mit modischem Visier.
    Das europäische Turnier des Herzog Johann hatte zahlreiche Gäste aus Schlesien und aus dem Ausland herbeigelockt. Die freie Fläche innerhalb der Schranken und ein eigens ausgewiesener Platz waren mit bunt gekleideten Rittern und Knappen gefüllt. Auf den Schilden, den Schabracken der Pferde, den Lendnern und Waffenröcken sah man das Hirschgeweih der Bibersteins, die Schafsköpfe der Haugwitz’, die güldenen Klammern der Zedlitz’, den Büffelkopf der Zettritz’, das Schachbrettmuster der Borschnitz’, die gekreuzten Schlüssel der Uechteritz’, die Fische der Seidlitz’, die Pfeile der Bolz’ und die Glocken der Quas’.
    Als wäre es damit nicht genug, sah man hier und da böhmische und mährische Wappen   – den Pfahlbaum der Herren von Lipa und Lichtemburk, den Odrzywąż der Herren von Krawař, Dubé und Bechyna, den Enterhaken der Mírovski, die Lilie der Zvolski. Auch polnischer Adel fehlte nicht   – Starykon, Awdaniec, Doliwa, Jastrzębiec und Łódź waren vertreten.
    Unter Zuhilfenahme von Samson Honigs starken Schultern kletterten Reynevan und Scharley zuerst auf die Kohlen und dann auf das Dach der Hufschmiedehütte. Von dort aus musterte Reynevan aufmerksam die Tribüne. Er begann an ihrem entfernteren Ende, bei den weniger wichtigen Personen. Das war ein Fehler.
    »Um Gottes willen, stöhne er dann laut, Adele ist dort! Ja, bei meiner Seele . . . Auf der Tribüne!«
    »Welche ist es?«
    »Die in dem grünen Kleid . . . Unter dem Baldachin . . . Neben . . .«
    »Neben Herzog Johann . . .« Scharley hatte sich nicht getäuscht. »Wirklich eine Schönheit! Also, Reinmar, ich gratuliere dir, du hast Geschmack. Was deine Kenntnis einer Frauenseele anbelangt, dazu kann ich dir leider nicht gratulieren. Nun bestätigt sich leider meine Vermutung, dass unsere Münsterberger Odyssee ein abwegiger Gedanke war.«
    »Das sieht nur so aus . . .«, redete Reynevan sich ein. »Das kann nicht sein . . . Sie . . . Sie ist eine Gefangene . . .«
    »Von wem, überlegen wir doch mal?« Scharley schützte die Augen mit der Handfläche vor den Sonnenstrahlen. »Neben dem Herzog sitzt Johann von Biberstein, der Herr auf Schloss Stolz, links von Biberstein eine Dame, die ich nicht kenne . . .«
    »Euphemia, die ältere Schwester des Herzogs.« Reynevan erkannte sie. »Hinter ihr . . . Ist das nicht Bolko Wołoszek?«
    »Der Herr von Oberglogau, der Sohn des Herzogs von Oppeln.« Scharley beeindruckte wie immer durch sein Wissen. »Neben Wołoszek sitzt der Starost von Glatz, Herr Puta von Czastolovice, mit seiner Ehefrau Anna von Kolditz. Weiter sind da Kilian Haugwitz mit seiner Gemahlin Liutgard, der alte Hermann Zettritz, daneben Janko von Chociemic, der Herr auf Schloss Fürstenstein. Der da eben aufsteht und applaudiert, ist Gottsche Schaff von Greifenstein, wohl mit seiner Frau, neben ihr sitzt Nikolaus Zedlitz auf Alzenau, der Starost von Ottmachau, neben ihm Guncel Świnka von Schweinhaus, dann noch einer mit drei Fischen auf rotem Feld, also ein Seidlitz oder ein Kurzbach. Auf der anderen Seite sehe ich Otto von Borschnitz, daneben einen von den Bischofsheimern, dann sehe ich Bertold von Apolda, den Mundschenk von Schönau. Des weiteren sitzen dort Lothar Gersdorf und Hartung von Klüx, beides Lausitzer. Auf der unteren Bank sitzen, wenn mich mein Auge nicht täuscht, Boruta von Winzenberg und Seckil Reichenbach, der Herr auf Tepliwoda . . . Nein, Reinmar, ich sehe keinen, der der Wächter deiner Adele sein könnte.«
    »Da weiter«, stotterte Reynevan, »sitzt Tristram von Rachenau.Das ist ein Verwandter der Sterz’. Genauso wie von Baruth, der mit dem Stier im Wappen. Und da . . . Ach! Verdammt! Das kann doch nicht wahr

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