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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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im Unglück nicht verlassen. Ich habe Freunde, auf die ich zählen kann. Denn Freundschaft . . .«
    Die Sonne stieg höher und goss ihren goldenen Schein über die Wiesen.
    »Freundschaft ist eine schöne, eine großartige Sache!«

Neunzehntes Kapitel
    in dem unsere Helden in Münsterberg auf ein sehr europäisches Ritterturnier stoßen. Für Reynevan erweist sich die Begegnung mit Europa als sehr unangenehm. Ja sogar als schmerzlich.
    S ie waren schon so nahe bei Münsterberg, dass sie die imposanten Mauern und Türme, die hinter einem waldbestandenen Hügel hervorlugten, in ihrer ganzen Pracht bewundern konnten. Ringsumher glänzten die Hüttendächer der Vorstadt, auf Feldern und Wiesen gingen die Bauern ihrer Arbeit nach, schmutziger Rauch von verbranntem Unkraut kroch dicht über der Erde dahin. Die Schafweiden boten ein buntes Bild, und die Wiesen an den Teichen waren weiß von Gänsen. Dorfbewohner mit Körben auf dem Rücken marschierten vorbei, fette Ochsen trotteten würdig einher, Wagen, mit Heu und mit Gemüse beladen, rumpelten vorüber   – wohin man auch blickte, zeigte sich beträchtlicher Wohlstand.
    »Ein angenehmes Stückchen Land«, meinte Samson Honig, »eine fleißige, wohlhabende Gegend.«
    »Und so rechtschaffen!« Scharley wies auf den Galgen, der sich unter der Last der Gehängten bog. Nebenan verwesten zum Ergötzen der Krähen etwa ein Dutzend Leichen auf Pfählen, und auch auf dem Rad bleichten Gebeine.
    »Wahrhaftig!« Der Demerit lachte höhnisch auf. »Man sieht, hier ist das Gesetz noch Gesetz, und Gerechtigkeit Gerechtigkeit.«
    »Wo ist Gerechtigkeit?«
    »Da, hier.«
    »Ach!«
    »Daher stammt auch der Wohlstand«, fügte Scharley hinzu, »wie du so treffend bemerkt hast, Samson. Einen solchen Ort sollte man wirklich mit einem besseren Plan als dem unseren besuchen. Zum Beispiel, um den einen oder anderen gutsituierten Einwohner dieses Ländchens anzuschmieren, ihn hereinzulegen und übers Ohr zu hauen, was nicht sonderlich schwierig wäre, weil Wohlstand Gimpel, Toren, Naive und Dummköpfe in großer Zahl hervorbringt. Und wir kommen hierher, um . . . Aaach . . . Schade um jedes weitere Wort!«
    Reynevan gab auch nicht den leisesten Kommentar dazu ab. Er hatte keine Lust. Solche und ähnliche Sprüche musste er sich schon seit geraumer Zeit anhören.
    Sie ritten um den Hügel herum.
    »Jesus Christus«, brachte Reynevan mit Mühe hervor. »So viele Leute! Was ist denn hier los?«
    Scharley hielt sein Pferd an und stellte sich in die Steigbügel.
    »Ein Turnier«, stellte er nach einer Weile fest. »Hier findet ein Turnier statt, werte Herren. Ein
torneamentum.
Was für ein Tag ist heute? Weiß das einer?«
    »Der achte.« Samson nahm beim Zählen die Finger zu Hilfe. »
Mensis Septembris,
natürlich.«
    »Oh!« Scharley sah ihn von der Seite an. »Da habt ihr wohl dort in jener anderen Welt denselben Kalender?«
    »Im Allgemeinen, ja«, Samson zog es vor, nicht auf diese Provokation zu reagieren. »Du hast nach dem Datum gefragt, also habe ich geantwortet. Wünschst du sonst noch etwas? Nähere Angaben vielleicht? Es ist das Fest der Geburt der Jungfrau Maria,
Navitatis Mariae.
«
    »Also findet das Turnier aus diesem Anlass statt«, vermutete Scharley. »Weiter, meine Herren.«
    Der Anger vor der Stadt war voller Leute, es gab auch eine provisorische Tribüne für die besseren Herrschaften, mit buntem Tuch ausgeschlagen, mit Girlanden, Bändern, den Adlern der Piasten und den Wappentafeln der Ritter geschmückt.
    Neben der Tribüne standen Handwerkerbuden und Verkaufsständemit Speisen, Reliquien und Andenken, über alldem wogte ein Meer von Flaggen, Wimpeln, Standarten und Fahnen. Das Volksgemurmel wurde immer wieder übertönt von den blechernen Klängen von Zinken und Hörnern.
    Über das Schauspiel sollte sich eigentlich niemand wundern. Herzog Johann von Münsterberg gehörte zusammen mit einigen anderen Fürsten und schlesischen Adeligen zum Rudenband, einer Rittergesellschaft, deren Mitglieder sich verpflichtet hatten, wenigstens einmal im Jahr ein Turnier abzuhalten. Im Unterschied zu den meisten Fürsten, die der kostspieligen Verpflichtung eher ungern und nur ab und an nachkamen, veranstaltete Johann von Münsterberg fortwährend Turniere. Sein kleines Herzogtum war dem äußeren Anschein zum Trotz wenig einträglich, wer weiß, vielleicht war es sogar das ärmste in Schlesien, Herzog Johann machte Schulden, aber er repräsentierte. Er war bei den Juden bis über die

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