Narrenturm - Roman
eingenommen, die den unermüdlichen Piasten mit nicht geringerer Energie und nicht weniger Enthusiasmus ritt als vor ihr Adele. Und mit nicht weniger Befriedigung beim Endspurt.
Dann waren halbnackte Mädchen mit offenem Haar eschienen, die inmitten einer Schar krächzender Krähen auf Besen über den von Feuer erhellten Himmel ritten. Dann der die Wand hochkletternde Mauerläufer, der lautlos seinen Schnabel öffnete. Dann ein Trupp von kapuzenbedeckten Rittern, die über die Felder galoppierten und etwas Unverständlichesschrien. Dann die
turris fulgurata,
der vom Blitz getroffene, halbzerfallene Turm, und ein Mensch, der von ihm herabstürzte. Dann ein brennender Mensch, der, in Flammen stehend, durch den Schnee ging. Dann eine Schlacht, der Lärm der Geschütze, das Feuer der Büchsen, der Hufschlag und das Wiehern von Pferden, Waffengeklirr, Schreie . . .
Hufeklappern, Wiehern, Waffenklirren und Schreie weckten ihn. Samson Honig hielt ihm gerade noch rechtzeitig den Mund zu.
Auf dem Hof vor der Scheune wimmelte es von Fußvolk und Reitern.
»Jetzt sind wir aber ganz schön reingefallen«, brummte Scharley, der den Hof durch einen Spalt zwischen den Balken beobachtete. »Wirklich, wie der Igel in die Scheiße.«
»Sind das unsere Häscher? Aus Münsterberg? Sind die hinter mir her?«
»Noch schlimmer! Verdammt, das ist eine Versammlung. Eine große Anzahl von Leuten. Ich sehe Magnaten und Ritter. Verdammter Mist, ausgerechnet hier, in dieser Einöde?«
»Lasst uns von hier verschwinden, solange das noch möglich ist.«
»Dafür ist es«, Samson deutete mit dem Kopf zum Schafstall hinüber, »leider zu spät. Die Schützen haben das ganze Areal umstellt. Es sieht so aus, als wollten sie verhindern, dass jemand hereinkommt. Und ich bezweifle, dass sie jemanden hinauslassen. Ich wundere mich nur, dass uns der Geruch nicht früher geweckt hat, seit dem Morgen braten sie hier Fleisch . . .«
Tatsächlich verbreitete sich von der Hofseite her ein immer intensiverer Bratengeruch.
»Die Schützen tragen die Farben des Bischofs.« Reynevan hatte auch eine Ritze gefunden, durch die er hinausspähen konnte. »Das könnte die Inquisition sein.«
»Na großartig!«, brummte Scharley. »Ganz beschissen großartig! Unsere einzige Hoffnung ist es, dass sie nicht in die Scheune kommen.«
»Dafür ist es leider zu spät«, wiederholte Samson. »Sie kommen geradewegs hierher. Verstecken wir uns im Heu. Und wenn sie uns finden, spielen wir einfach die Idioten.«
»Du hast leicht reden.«
Reynevan grub sich bis zu den Planken ins Heu, fand einen Spalt und presste sein Auge darauf. Er sah, wie die Knechte in die Scheune kamen und, zu seinem immer größer werdenden Entsetzen, alle Winkel durchsuchten und mit Stöcken in den Garben und im Stroh herumstocherten. Einer stieg die Leiter hinauf, blieb dann jedoch, oben angekommen, stehen und begnügte sich mit einem flüchtigen Blick auf den Heuboden.
»Lob und Dank der unsterblichen militärischen Faulheit«, wisperte Scharley.
Leider war es damit nicht getan. Gleich nach den Knechten kamen Knappen und Mönche herein. Die Tenne wurde gefegt und gesäubert. Dann wurde duftendes Tannenreis verstreut. Bänke wurden hereingeschleppt, Kreuzböcke aus Fichtenholz aufgestellt und Bretter darübergelegt. Die Bretter wurden mit Tuch bedeckt. Noch bevor Fässchen und Becher herbeigebracht wurden, wusste Reynevan bereits, worauf das Ganze hinauslief.
Es dauerte ein Weilchen, bis die hohen Herren die Scheune betraten. Dann gewann das Bild an Farbe, Waffen glänzten, Kleinodien, goldene Ketten und Spangen funkelten – kurz, lauter Dinge, die zu dem trübseligen Innern der Scheune nicht im Geringsten passten.
»Die Pest über sie!«, flüsterte Scharley, der ebenfalls ein Auge auf eine Spalte gepresst hatte. »Ausgerechnet hier müssen sie ihr geheimes Treffen abhalten. Und das sind nicht Hinz und Kunz . . . Konrad, der Bischof von Breslau, höchstpersönlich. Der neben ihm ist Ludwig, der Herzog von Liegnitz und Brieg.«
»Leise . . .«
Reynevan hatte die beiden Piasten ebenfalls erkannt. Konrad, seit nunmehr acht Jahren Bischof von Breslau, beeindrucktedurch seine wahrhaft ritterliche Gestalt und sein rosiges Antlitz – höchst erstaunlich angesichts seiner Neigung zu Trunksucht, Völlerei und Wollust, Untugenden dieses kirchlichen Würdenträgers, die allgemein bekannt und geradezu sprichwörtlich waren. Gewiss war dies ein Verdienst sowohl seines kräftigen Organismus
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