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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Reinmar?«
    »Die Münsterberger Angelegenheit ist für mich beendet«,antwortete Reynevan und biss die Zähne zusammen. »Und sie hat nie existiert. Mich verbindet nichts mehr mit der Vergangenheit. Aber ich hatte Angst, dass sie euch vielleicht erwischt haben.«
    »Die? Uns? Du machst wohl Scherze!«
    »Ich bin so froh, euch zu sehen. Ich freu’ mich wirklich.«
    »Du wirst lachen, wir auch.«
    Der Regen wurde immer heftiger, der Wind zauste die Wipfel der Bäume.
    »Scharley«, meinte Samson, »ich denke, es hat nun keinen Sinn mehr, die Spur zu verfolgen . . . Das, was wir wollten, ist jetzt ohne Sinn und Ziel. Reinmar ist frei, ihn hält nichts, lass uns also den Pferden die Sporen geben und heissa! Richtung Troppau, auf die ungarische Grenze zu. Ich schlage vor, wir kehren Schlesien und allem, was schlesisch ist, den Rücken. Auch unseren hoffnungslosen Plänen.«
    »Was für Pläne?« Reynevan war neugierig geworden.
    »Unwichtig. Scharley? Was sagst du? Ich rate, den Plan zu verwerfen. Den Vertrag zu brechen.«
    »Ich verstehe nicht, wovon ihr sprecht.«
    »Später, Reinmar. Scharley?«
    Der Demerit räusperte sich laut.
    »Den Vertrag zu brechen?«, wiederholte er Samsons Worte.
    »Zu brechen.«
    Scharley kämpfte schwer mit sich, das war deutlich zu sehen.
    »Die Nacht bricht an«, sagte er schließlich. »Und die Nacht bringt immer einen Rat.
La notte,
wie man in Italien sagt,
porta il consiglio.
Unter der Bedingung, möchte ich hinzufügen, dass man die Nacht schlafend, an einem trockenen, warmen und sicheren Ort, verbringt. Auf die Pferde, Jungs. Mir nach.«
    »Wohin?«
    »Ihr werdet schon sehen.«
     
    Es war schon fast dunkel, als vor ihnen ein Zaun und Gebäude auftauchten. Ein Hund begann zu bellen.
    »Was ist das?«, fragte Samson beunruhigt. »Ist das . . .«
    »Das ist Eichau«, unterbrach ihn Scharley. »Eine Scheune, die dem Zisterzienserkloster in Kamenz gehört. Als ich in Striegau einsaß, haben sie mir manchmal befohlen, hier zu arbeiten. Als Teil meiner Strafe, wie ihr richtig vermutet. Daher weiß ich, dass das ein trockener und warmer Ort ist, wie geschaffen dazu, sich richtig auszuschlafen. Und am Morgen lässt sich auch etwas zu essen organisieren.«
    »Ich verstehe«, meinte Samson, »die Zisterzienser kennen dich. Wir bitten um gastliche Aufnahme . . .«
    »So gut stehen die Dinge nun auch wieder nicht«, unterbrach ihn der Demerit erneut. »Fesselt den Pferden die Vorderbeine. Wir lassen sie hier im Wald. Und ihr kommt mir nach. Auf Zehenspitzen.«
    Die Hunde der Zisterzienser beruhigten sich, sie bellten schon leiser und eher versehentlich, als Scharley geschickt ein Brett aus der Scheunenwand löste. Kurz darauf waren sie schon in dem dunklen, trockenen und warmen Inneren, das angenehm nach Stroh und Heu duftete. Kaum hatten sie die Leiter zum Boden erklommen, gruben sie sich auch schon ins Heu ein.
    »Lasst uns schlafen«, brummte Scharley und raschelte ein wenig im Heu herum. »Schade, dass wir hungrig schlafen gehen müssen, aber ich schlage vor, dass wir mit dem Essen bis morgen warten, dann lässt sich sicher etwas Essbares stehlen, und wenn es nur Äpfel sind. Wenn es sein muss, kann ich aber auch sofort gehen. Falls jemand nicht bis morgen durchhält. Was, Reinmar? Ich denke dabei in erster Linie an dich, als jemanden, der Mühe hat, seine primitiven Gelüste im Zaum zu halten . . . Reinmar?«
    Reynevan schlief.

Zweiundzwanzigstes Kapitel
    in dem sich zeigt, dass unsere Helden den Ort ihres Nachtlagers nicht gut gewählt haben. Es bestätigt sich auch die bekannte Wahrheit   – wenngleich die Sache erst viel später ans Licht kommen wird   –, dass in historisch bedeutenden Zeiten selbst die geringste Begebenheit gewaltige Ausmaße annehmen kann.
    T rotz seiner Müdigkeit schlief Reynevan unruhig und schlecht. Vor dem Einschlafen hatte er sich in das von Disteln durchsetzte, piekende Heu gewühlt und sich zwischen Scharley und Samson eingegraben, was ihm etliche Flüche und Knüffe eintrug. Dann wimmerte er, als er im Traum sah, wie dem von Schwertern durchbohrten Peterlin das Blut aus dem Mund quoll. Er seufzte beim Anblick der nackten Adele von Sterz, die rittlings auf Herzog Johann von Münsterberg saß; er stöhnte, als er sah, wie der Herzog mit ihren rhythmisch hüpfenden Brüsten spielte. Dann hatte den von Adele freigemachten Platz auf dem Schoße des Herzogs zu seinem Schrecken und seiner Verzweiflung die blondhaarige Nicoletta, also Katharina von Biberstein,

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