Narrenturm - Roman
Horizont zog ein Gewitter auf, der Himmel flammte dann und wann im Lichte der in der Ferne zuckenden Blitze, so fern, dass nicht einmal das Donnergrollen zu hören war. Und das sich schwarz vor dem von Blitzen erhellten Himmel abhebende Burgmassiv erstrahlte plötzlich mit hellen Fenstern.
Es gab nämlich im Inneren dessen, was eine Ruine zu sein schien, einen Rittersaal mit hohem Gewölbe. Die ihn erhellenden Leuchter, Kandelaber und Fackeln, die in eisernen Ringen brannten, ließen die Fresken an den rauhen Mauern aus dem Dunkel hervortreten. Sie zeigten Szenen aus dem ritterlichen und dem religiösen Leben. Auf den in der Mitte des Saales stehenden riesigen runden Tisch blickten der vor dem Gral kniende Parzival und der die Gesetzestafeln vom Berg Sinai tragende Moses herab. Roland in der Schlacht vor Albracca und der heilige Bonifatius, der unter friesischen Schwertern den Märtyrertod erlitt. Gottfried von Bouillon, der das eroberte Jerusalem verlässt. Und Jesus, der zum zweiten Mal unter dem Kreuz zusammenbricht. Sie alle blickten mit ihren leicht byzantinischen Augen auf den Tisch herab und auf die Ritter, die in voller Rüstung und in Kapuzenmänteln um ihn herum saßen.
Durch das offene Fenster flog, vom Wind getragen, ein großer Mauerläufer herein.
Der Vogel beschrieb einen Kreis, warf einen gespenstischen Schatten auf die Fresken und setzte sich mit gesträubtem Gefieder auf die Lehne eines Stuhles. Er öffnete den Schnabel und krächzte, aber noch bevor das Gekrächz verklungen war, saß auf dem Stuhl kein Vogel, sondern ein Ritter. Ebenso wie die anderen in Mantel und Kapuze, glich er ihnen wie ein Zwillingsbruder.
»Adsumus«,
sagte der Mauerläufer dumpf. »Hier sind wir,Herr, versammelt in deinem Namen. Komm und weile unter uns.«
»Adsumus«,
wiederholten die um den Tisch versammelten Ritter wie aus einem Munde.
»Adsumus! Adsumus!«
Das Echo hallte durch die Burg wie grollender Donner, wie der Widerhall einer fernen Schlacht, wie der dumpfe Klang eines gegen ein Stadttor gerammten Sturmbocks. Dann verlor er sich allmählich in den dunklen Korridoren.
»Ruhm unserem Herrn«, sagte der Mauerläufer, als wieder Stille eingekehrt war. »Der Tag ist nahe, an dem alle seine Feinde im Staub liegen werden. Wehe ihnen! Darum sind wir hier!«
»Adsumus!«
»Die Vorsehung schickt uns«, der Mauerläufer hob den Kopf, und in seinen Augen glänzte der Widerschein der Flammen, »meine Brüder, eine neuerliche Gelegenheit, die Feinde des Herrn empfindlich zu treffen und die Gegner des Glaubens noch einmal zu bezwingen. Die Zeit ist gekommen, ihnen den nächsten Stoß zu versetzen. Merket wohl, ihr Brüder, diesen Namen: Reinmar von Bielau, Reinmar von Bielau, genannt Reynevan. So höret . . .«
Die Ritter in den Kapuzenmänteln beugten sich vor und lauschten. Der unter der Last des Kreuzes zusammenbrechende Jesus blickte von der Wand auf sie herab, und in seinen byzantinischen Augen stand die Unendlichkeit menschlichen Leids.
Drittes Kapitel
in dem die Rede ist von Dingen, die anscheinend wenig miteinander gemein haben, wie die Falkenjagd, die Dynastie der Piasten, Erbsen mit Kraut und die böhmische Häresie. Und auch von einem Disput darüber, ob, wem gegenüber und wann man ein gegebenes Wort halten muss.
A m Flüsschen Klein Oels, das sich durch mit Schwarzerlen bewachsenes Schwemmland mit weißen Fliederbüschen und grünen Wiesen wand, auf einem Hügel, von dem aus die Dächer und der Rauch des Dörfchens Bohrau zu sehen waren, hatte der Tross des Herzogs länger Halt gemacht. Aber nicht etwa, um zu rasten. Ganz im Gegenteil. Um sich zu ermüden. Das heißt, sich auf Herrenart zu vergnügen.
Als sie dort angekommen waren, waren aus den sumpfigen Wiesen Scharen von Vögeln aufgestiegen, Stockenten, Krickenten, Rallen, Spießenten, ja sogar Reiher. Bei ihrem Anblick befahl Herzog Konrad Kantner, Herr von Oels, Trebnitz, Militsch, Steinau, Wohlau und Schmograu und, gemeinsam mit seinem Bruder Konrad dem Weißen, sogar Herr von Cosel, seinem Gefolge, sofort anzuhalten und ihm seine Lieblingsfalken zu bringen. Der Herzog war ein fanatischer Liebhaber der Falkenjagd. Oels und seine Finanzen konnten warten, der Bischof von Breslau konnte warten, die Politik konnte warten, ganz Schlesien und die ganze Welt konnten warten – nämlich darauf, dass sein Favorit, genannt Rabe, einer Stockente die Federn riss und sich sein Silberfalke in den Lüften im Kampf gegen einen Reiher als kühn erwies.
Der
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